Gebetsschule 4: wie der Vogel singt

Foto: Sh1019 - CC BY-SA 3.0

Wir setzen unsere Reihe über das Meditieren fort. Meditieren wie ein Berg, wie die Mohnblume, wie das Meer und jetzt wie ein Vogel. Der Starez Seraphim führt uns nun von den Wellen des Meeres fort in eine Klosterzelle, über der ein Taubenpaar nistet. Die Tauben fliegen ein und aus. Vor allem sie gurren. Sie gurren den lieben langen Tag. Zum Glück meditiere ich nicht im Taubenschlag, denn da geht es ja zu wie im Taubenschlag, sondern in der Zelle darunter. Darin ist es still. Aber das Gurren ist doch, wenn auch nicht direkt am Ohr die ganze Zeit zu hören.

Was will mir denn der Starez jetzt beibringen? Dass ich trotz Gurren und trotz Geräuschen meditieren kann und in die Stille finde? Ja, das auch. Und das kann ich ganz gut, wenn ich mir sage: „Ja da über mir da ist das Gurren, aber da in meinem Raum und in mir sind jetzt Ruhe und Frieden und Stille.“ Da fließt mein Atem wie die Wellen des Ozeans. Da bin ich ausgerichtet auf Gott wie die Mohnblume auf die Sonne. Da bin ich fest und ruhig wie ein Berg, der da in Stille steht, auch wenn die Affen auf ihm herumspringen. Ja, ich kann auch das Gurren, dieses Liebesgeflüster der beiden Tauben, aushalten und trotzdem meditieren, trotzdem in die Ruhe und in den Atem finden. Ja, das kann ich inzwischen.

Aber der Starez will mir noch mehr zeigen und beibringen. Das Wort Meditation oder meditieren ist die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes meletan und das wiederum ist die Übersetzung des hebräischen Wortes haga. Und haga bedeutet beim Menschen so viel wie leise vor sich hin sprechen oder murmeln. Wie bei den Tauben das Gurren (Jes 38,14), wie beim Bären das Brummen. Bei uns das Murmeln. Und dieses Wort ist ja lautmalerisch. Aha – daher also, lieber Starez die Tauben! Welch Glück, dass Du mich nicht im Bärenkäfig meditieren ließest!

Bis heute murmeln ja die jüdischen Frommen die Worte der Heiligen Schrift vor sich hin und schaukeln oft dabei vor und zurück. Oder die Mönche beten die Psalmen wenn nicht laut, dann doch gemurmelt. Das ist also der Ursprung des Meditierens in der Bibel. Murmeln der heiligen Worte. Das griechische Wort meletan hat dazu noch die Bedeutung; hegen, pflegen, liebevoll im Herzen tragen. Die lateinische „meditatio“ kommt ursprünglich eher aus dem Militärischen und hat da auch das Exerzieren und das Üben im Hinterkopf. All das schwingt mit beim Wort Meditation.

Und das soll ich von den Tauben und ihrem Gurren lernen: nicht nur auf den Atem achten, sondern lernen beim Atmen auch das Jesus-Gebet innerlich zu murmeln. Das „Herr, erbarme Dich unser!“, griechisch: „kyrie eleison“. Und zwar einen Teil beim Ausatmen, einen Teil beim Einatmen. Bei Pater Franz Jalics, der jetzt am 13. Februar mit 93 Jahren verstorben ist, habe ich in seinen „Kontemplativen Exerzitien“ gelernt und auch jahrelang geübt beim Ausatmen zu beginnen mit dem Wort Jesus oder Jesus Christus oder Herr, je nachdem was besser geht. Beim Einatmen dann „erbarme dich“ oder „erbarme dich meiner“ oder „erbarme dich unser“. Inzwischen bin ich aber so frei, jedem zu raten, selbst die Weise herauszufinden, in der es am besten geht. Mit dem Ausatmen zu beginnen oder mit dem Einatmen…

Dieses Gurren des Namens Jesus oder des Kyrie eleison, also das Jesusgebet führt mit der Zeit zum Herzensgebet, zum Beten ohne Unterlass. Es geht ins Unterbewusstsein über. Ich merke es gar nicht mehr, nur ab und zu tritt es mir ins Bewusstsein. Das wieder geht weiter zu einer intensiven Verbindung mit Jesus. Darüber habe ich nun schon oft geschrieben. Aber hier noch einige andere schöne Weisen zu meditieren, wie der Vogel singt.

Früher, als ich noch öfter lange Strecken allein mit dem Auto fuhr, habe ich dabei laut Kirchenlieder gesungen oder auch auf modernere rhythmische Melodien selbst gemachte Texte: „Herr, ich möchte glauben können, ganz so wie Du… hoffen können … lieben können ganz so wie du.“ Oder etwas Ähnliches. Bei meinen letzten Exerzitien bin ich jeden Tag auch einmal in den Wald gegangen und da passt sich dann das Gebet dem Schrittrhythmus an und da kann es bei mir auch ganz unterschiedlich im Text sein. Zum Beispiel: „Du bist da, halleluja.“ „Du bist da, ha-le-lu-ja.“ Seien Sie kreativ! Es gibt so viele Singvögel und so viele Melodien. Finden Sie Ihre Weisen und Ihre guten Gelegenheiten und das können viele verschiedene sein. Singen ist so gut und heilsam! Oder singen und gurren Sie auch nur Ihre eine Weise und die immer und immer wieder.

Es grüßt Sie herzlich und wünscht Ihnen eine gesegnete Fastenzeit
Thomas Gertler SJ

17. Januar 2021

Das größte Liebesgedicht im Alten Testament ist das Hohelied. Es ist zunächst einfach ein Liebesgedicht. Es ist aber schon in den Zeiten des Alten Testamentes auf die Liebe Gottes zu seinem Volk und auf die Sehnsucht Israels nach seinem Gott hin verstanden und ausgelegt worden. Wir können es jetzt auch so lesen und da ist dann dieses Gespräch zwischen den Liebenden auch als eine Form des Gebets und der Antwort Gottes an die Betenden zu verstehen. Das Bild zeigt ein Taubenpaar aus Indonesien.

Foto: Jason Thompson - CC BY 2.0

Hoheslied 2,10 - 14

2,10 Der Geliebte spricht zu mir: Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, so komm doch!
11 Denn vorbei ist der Winter, verrauscht der Regen.
12 Auf der Flur erscheinen die Blumen; die Zeit zum Singen ist da. Die Stimme der Turteltaube ist zu hören in unserem Land.
13 Am Feigenbaum reifen die ersten Früchte; die blühenden Reben duften. Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, so komm doch!
14 Meine Taube im Felsennest, versteckt an der Steilwand, dein Gesicht lass mich sehen, deine Stimme hören! Denn süß ist deine Stimme, lieblich dein Gesicht.