
Foto: Einsamer Schütze - CC BY-SA 4.0
Kennen Sie das Herzensgebet oder das Jesusgebet? Es ist eine Form der Meditation. Ziel ist es, ganz mit Gott verbunden zu leben. Nicht nur während der ausdrücklichen Zeiten des Gebetes oder der Meditation sondern andauernd. Tag und Nacht, im Wachen und sogar im Schlafen.
Das ist doch nicht möglich! Doch es ist möglich. Und das geht genau mit diesem Gebet, dem Herzens- oder Jesusgebet. Das bekannteste Buch darüber sind die „Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers“. Und da wird erzählt, wie lange der Pilger braucht, um diese Gebetsform zu finden und zu erlernen. Diese Form des Betens geht letztlich auf die Tradition des Berges Athos zurück, wo sie schon seit dem 12. Jahrhundert gepflegt wird. Ähnliche Weisen zu beten gibt es auch in anderen Religionen. Und das ist zu wenig bekannt, auch in der christlichen Tradition.
Mir ist nun ein Text in die Hände gefallen, in dem über einen jungen Mann erzählt wird, der auf den Berg Athos kommt und dort das Gebet lernen will. Er wird unterrichtet vom Starez Seraphim (Starez ist ein Titel und heißt „der Alte“). Und dabei muss er zuerst von der Natur und dann von wesentlichen Gestalten der Bibel lernen. Heute beginnen wir und heute ist der Berg dran. Meditieren oder beten wie ein Berg. Und wir werden damit weitergehen, bis wir das Jesus-Gebet selbst beten können. Das dauert ein paar Wochen. Vielleicht auch einmal unterbrochen durch ein anderes Thema. Aber wir gehen weiter bis zum Schluss.
Ja, das ist das Erste. Beten wie ein Berg. Stellen Sie sich einen Berg vor. Es muss nicht der Mount Everest sein. Es kann einfach ein Berg in Ihrer Umgebung sein, den Sie kennen. Oben sehen wir den Berg Sinai. Sie sollen nun nicht den Berg meditieren, sondern Sie sollen meditieren wie ein Berg. Was heißt das? Suchen Sie sich einen Platz, an dem Sie mindestens eine gute halbe Stunde Ruhe haben und wo Sie selbst gut sitzen können. Stuhlfläche waagerecht und so, dass Oberschenkel und Unterschenkel einen 90°-Winkel bilden können. Womöglich dafür eine Decke auf den Stuhl oder unter die Füße, je nach dem. Und Rücken gerade, aber nicht stocksteif, sondern so dass Sie ohne anzulehnen sitzen können und die Wirbel so aufeinander ruhen, dass sie ein leichtes „S“ bilden. Den Kopf sollen Sie so halten, als ob Sie am Scheitel ein seidenes Haar nach oben zieht. Füße beckenbreit nebeneinander. Hände auf den Schenkeln oder ineinander gelegt im Schoß. Tief in den Bauch hinein atmen.
Und jetzt vor allem still sitzen. Wie ein Berg. Der wankt und wackelt nicht. Der bleibt da. Und bleibt und bleibt. Jedes Einatmen richtet mich in Richtung des Seidenfadens auf. Jedes Ausatmen senkt mich fester und tiefer in den Sitz. Es ist ja immer Bewegung in uns durch den Atem. Aber nicht zusammensinken und nicht gewaltsam aufrecken. Sondern ruhig bleiben. Da bleiben wie ein Berg. Stille. Ruhe. Festigkeit. Verlässlichkeit.
Das ist das Erste. Das ruhig halten lernen. Nicht die Nase kratzen oder das Ohr oder den Kopf. Die Hände bleiben liegen. Unerträglich. Ich muss doch kratzen! Nein, das muss ich nicht. Das Jucken geht vorbei. Gleich ist es weg. Da – als sei gar nichts gewesen.
Und das Jucken der Gedanken. Alle die Impulse, die mich durchjagen. Wie eine Herde Rehe, die durch den Wald des Berges jagt. Oder gar wie eine Rotte Wildschweine. Das muss doch aber gleich noch gemacht werden. Dingend. Sofort. Ich will aufspringen. Nein, ich folge meinem Impuls nicht. Lass die Rehe fortspringen und die Schweine durchs Unterholz brechen. Gleich sind sie weg. Lass sie ziehen. Sei wie der Berg. Und tatsächlich, es kehrt wieder Ruhe ein.
Ja, die Ruhe dringt langsam, ganz langsam in mich ein. Ruhe wird allmählich zum Frieden. Ich kann ihn berühren. Er berührt mich. Meditieren wie ein Berg. Meditieren wie ein Berg heißt einfach da sein. Nichts tun oder leisten. Sein. Dasein. Präsent sein, ohne selber aktiv zu werden. Sein. Einfach sein. Es geht. Der Atem kommt und geht von selbst. Das Rückgrat trägt. Der Stuhl trägt. Die Erde trägt. Und Gott trägt alles. Ich muss nichts tun. Einfach sein. Wie ein Berg. Wunderbar. Und das lange. Über eine Woche jeden Tag eine halbe Stunde bis eine Stunde. Berg sein. Und von Gott getragen werden.
Dass Sie sich getragen fühlen und da sein können wie ein Berg, wünsche ich Ihnen!
Thomas Gertler SJ
27. Januar 2021
Für die Beter der Bibel ist Gott selbst der Berg, der Fels, die Burg. Beim Ihm kann ich mich bergen. Bei Ihm finde ich Ruhe und Sicherheit und Frieden. Darum auch kann es helfen, auf den Berg zu steigen, um zu beten, wie es Jesus vor wichtigen Entscheidungen getan hat. Der Psalm 18 preist Gott als diesen Felsen und diesen Berg. Auf dem Bild ist der Berg Tabor zu sehen

Foto: Bukvoed - CC BY 4.0
Psalm 18
18,2 Ich will dich lieben, HERR, meine Stärke,
3 HERR, du mein Fels und meine Burg und mein Retter;
mein Gott, mein Fels, bei dem ich mich berge, /
mein Schild und Horn meines Heils, meine Zuflucht.
4 Ich rufe: Der HERR sei hoch gelobt!
und ich werde vor meinen Feinden gerettet.
5 Mich umfingen die Fesseln des Todes
und die Fluten des Verderbens erschreckten mich.
6 Mich umstrickten die Fesseln der Unterwelt,
über mich fielen die Schlingen des Todes.
7 In meiner Not rief ich zum HERRN
und schrie zu meinem Gott,
er hörte aus seinem Tempel meine Stimme,
mein Hilfeschrei drang an seine Ohren.