Fruchtbarkeit

Foto: Thomas Gertler

Bei uns in Göttingen wächst an der äußeren Apsis der Kirche ein Brombeerstrauch, der trägt weiße Brombeeren, wie Sie oben sehen können. Und er trägt und trägt. Jetzt noch treibt er immer wieder neue Fruchtstände, und sie reifen noch, obwohl ich schon im Juli immer wieder im Vorbeigehen eine Beere von dem Strauch gepflückt habe. Fruchtbarkeit. Unglaublich reiche Fruchtbarkeit. Es ist ein Wunder. Es rührt mich an. Es macht auch irgendwie Angst.

Es macht irgendwie Angst, weil ich das Gefühl habe, womöglich ist es das letzte Mal. Der kleine Strauch verausgabt sich doch völlig. Das kann doch nicht nächstes Jahr wieder so sein. Ich meine, einmal gehört zu haben, dass vor dem Sterben Bäume noch einmal besonders viel tragen. Aber vielleicht ist das Unsinn. Denn Fruchtbarkeit hängt ja nicht nur vom Strauch oder Baum allein ab. Da spielen die Witterung, der Boden und die Befruchtung durch Bienen oder andere Insekten auch eine wichtige Rolle.

Also sei es wie es sei. In diesem Jahr ist mir diese große Menge an Früchten auch anderswo aufgefallen. Zum Beispiel habe
ich diese Nüsse in gerademal zehn Minuten aufgesammelt. Zwei Schüsseln voll. Der Wind hat sie vom Baum auf den Boden heruntergeschüttelt und sie kamen so schön sauber runter. Toll. Haben Sie diese Fülle und Fruchtbarkeit dies Jahr auch beobachtet? Die Bäume voller Äpfel und Birnen. Die Weinstöcke voller Trauben.

Aber auch große Wägen voller Kartoffeln. Mähdrescher lassen Getreide in riesige Hänger laufen und es wird in Scheunen oder Schüttböden oder Silos gefahren. Unglaublich viel unglaublich reich. So ist unser Herbst dies Jahr. Oder sehe und erlebe nur ich das dieses Jahr?

 

 

Ich bin ja noch im Sozialismus neben dem Abitur als Landwirt ausgebildet worden, und zwar als Agrotechniker. Diese Berufsbezeichnung spricht schon vom Idealbild der sozialistischen Landwirtschaft: es ging um Technik und Industrialisierung der Landwirtschaft. Zum Beispiel war das Zuchtziel tatsächlich das „sozialistische Einheitsrind mit maschinengerechtem Euter“. Bierernst gemeint und doch urkomisch. Tiere und auch Menschen sollten sich nach den Maschinen richten, nicht umgekehrt. Aber Fruchtbarkeit ist nicht das gleiche wie Produktivität im Betrieb. Fruchtbarkeit ist nur in Grenzen planbar und herstellbar.

Freilich ist auch jetzt und heute die Gefahr, dass alles planbar und machbar sein muss, und zwar besser als im Sozialismus. Und dass wir die Maschinen bedienen und nicht sie uns. Und wir nehmen auch die Folgen wahr. Das Insektensterben, das Bienensterben, das Vogelsterben. Wenn zu wenig das Ganze im Blick ist, sondern nur dieser Schlag von Mais, Getreide, Kartoffeln oder die Hühner, Rinder oder was immer. Die Friday-for-Future-Bewegung macht uns wieder auf das Ganze und auf die Zukunft aufmerksam. Nicht nur an heute und morgen, sondern auch an Übermorgen und die Kinder und Kindeskinder denken. Nicht nur an Deutschland und Amerika sondern an die ganze Welt denken.

Und bei der Fruchtbarkeit in der Natur, da ist der einzelne Baum oder Strauch immer in ein ganzes System eingebaut, das von selbst nachhaltig und ganzheitlich ist. Diese Vernetzung oder dieser Zusammenhang von allem mit allem wird uns jetzt erst allmählich bewusst und muss ab jetzt um des Überlebens willen des Menschen und der Natur beachtet werden.

Fruchtbarkeit ist aber nicht nur eine Sache der Natur. Fruchtbarkeit ist auch ein Ausdruck für das geistliche Leben. Jesus spricht öfter von der Fruchtbarkeit. Und auch von der Frucht, die bleibt, die nachhaltig ist. Und das ersehnen wir uns ja auch für unser Leben, dass wir nicht nur erfolgreich, sondern fruchtbar sind. Das etwas bleibt und weitergeht. Diese Fruchtbarkeit ist nur teilweise planbar und machbar. Sie hängt wie in der Natur von vielen Faktoren ab. Und sie ist auf das Ganze ausgerichtet. Und das, dieses Eingepasstsein ins Ganze, das kann immer nur Geschenk sein. Das ist nicht machbar, weil es über uns als einzelne hinausgeht. Das ist Gottes Werk. Mir kommt da am ehesten das Kunstwerk als Beispiel in den Sinn. Ein großes Kunstwerk hat das. Und das empfindet der Künstler als Geschenk, dieses Gelingen oder Glücken oder die Fruchtbarkeit. Oder auch diese Stimmigkeit, dieses manchmal prophetisch auf das Ganze ausgerichtet sein. Dass es vielleicht sogar erst der nächsten Generation etwas sagt und wertvoll ist wie zum Beispiel die Werke Vincent van Goghs.

Um diese Art der Fruchtbarkeit geht es. Die großen Heiligen sind in diesem Sinne fruchtbar durch Jahrhunderte und Jahrtausende. Ihre Erfahrungen und Taten helfen noch heute Menschen auf dem Weg zu Gott und zu einem fruchtbaren Leben. Ja, wenn man will ist die Heilige Schrift die fruchtbarste Sammlung von erzählten Erfahrungen mit Gott. Dieser Same trägt Frucht weit mehr als hundertfältig, nein, durch Jahrtausende hin, nährt diese Frucht bis heute.

Sammeln auch Sie Ihre Früchte, die Sie nähren! Schreiben Sie sie auf. Sie können weiter Frucht tragen. Frucht, die bleibt.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

14. Oktober 2020

Das „Öko-System“ für die geistliche Fruchtbarkeit ist die Gemeinschaft der Kirche und der Synagoge. Sie ist der Weinberg, auf dem Christus der Weinstock und wir als Reben wachsen und Frucht bringen. Und auch dieser Weinberg ist nicht für sich selbst da, sondern auch für das Ganze von Menschheit und Welt.

Foto: BerndtF - CC BY-SA 3.0

 

Johannes 15,1 - 17

Joh 15,1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. 2 Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. 3 Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. 4 Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. 6 Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer und sie verbrennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. 8 Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet. 9 Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. 11 Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. 12 Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. 13 Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. 14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. 15 Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. 16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. 17 Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt.