FoMO oder die Angst etwas zu verpassen

Foto: Rawpixel Ltd - CC BY 2.0

 

Dieses neue Wort oder diese neue Abkürzung habe ich jetzt gelernt: Fear of Missing Out oder Angst etwas zu verpassen. Die Sache kennt jeder und ist auch gut und berechtigt. Diese Angst ist so alt wie die menschliche Gemeinschaft selbst. Seitdem wir aber die neuen sozialen Medien haben, ist diese Angst dabei, unser Verhalten immer mehr zu bestimmen und schlägt dabei um in eine suchtähnliche Abhängigkeit von Twitter, Facebook und ähnlichen Netzwerken. Vom vernetzt sein mit vielen Menschen schlägt es um in ein Netz, in dem ich gefangen bin.

Mir begegnet das zum Beispiel im Zug. Früher hat man ein Buch gelesen oder einfach aus dem Fenster geschaut und ist dem Auf und Ab der Stromleitungen gefolgt, hat die vorbei ziehende Landschaft genossen. Heute schauen viele die ganze Zeit aufs Handy, um zu spielen, um Filme zu schauen, Mails zu checken, Mails zu schreiben, vielleicht auch eine Geschichte zu lesen oder zu hören… Unsere Smartphones sind ja so smart. Sie reichen als Zeitvertreib und Partner völlig aus. Du, mein Handy, nur du…

Und da wird es dann gefährlich. Es gibt so genannte „Smombies“, zusammengesetzt aus Smartphone und Zombie. Die legen das Handy nie aus der Hand und halten es sich immer vor Augen und sind in Gefahr vor den Laternenpfahl oder schlimmer vors Auto oder die Straßenbahn zu laufen. Siehe das Bild oben. Man hat ja darum schon Versuche mit Ampeln auf dem Boden gemacht, damit so etwas nicht passiert.

Oder ein Liebespaar oder Freundinnenpaar läuft Hand in Hand durch die Straße, in der anderen Hand aber haben beide ihr Handy und schauen drauf oder telefonieren sogar. Für mich ist es geradezu verletzend, wenn jemand im persönlichen Gespräch immer wieder auf sein Handy schaut und so zu verstehen gibt: da ist jemand/etwas immer noch wichtiger als Du jetzt. Und meine Aufmerksamkeit ist mindestens geteilt zwischen dem Gespräch mit Dir und meinem Handy. Das ist verletzend und macht mich zornig.

Und damit sind wir bei dem wirklich auch für das eigene Leben Gefährliche. Vor lauter Angst, etwas zu verpassen, verpasse ich gerade den Augenblick jetzt, die Gegenwart, die Wirklichkeit, den Menschen mir gegenüber, um nichts zu verpassen, verpasse ich das Leben. Ich bin eben nicht mehr wirklich da, nicht mehr präsent und nicht mehr aufmerksam, sondern bin innerlich auf das Signal vom Handy ausgerichtet. Ich werde immer abhängiger von den kleinen Nachrichten und Statusberichten, den Fotos vom Essen und von der Party.

Und damit sind wir bei einer weiteren Konsequenz von FoMO. Dem großen Problem, sich für irgendetwas entscheiden zu können. Soll ich zu der Party gehen oder mir den Film anschauen? Soll ich zu dem Wochenende über den Buddhismus fahren oder über Ökologie? Oder ich warte lieber, ob es nicht noch etwas Besseres gibt. Es könnte ja noch etwas Besseres kommen. Um nichts zu verpassen, bleibe ich eben sitzen und warte. Ich tue nichts Konkretes. Das Konkrete wäre ja dann etwas, das anderes nicht mehr möglich macht. Dann bin ich eben im Kino und schaue den Film an. Aber ich habe das Gefühl, das Leben spielt sich gerade anderswo ab. Auf der Geburtstagsparty, von der ich gerade jetzt Nachrichten kriege – ja, jetzt hier im Kino Ich bin also weder hier und jetzt, noch da. FoMO hindert am Leben.

Darum ist eine Antwort: JoMO – Joy of Missing out. Freude daran, etwas zu verpassen. Freude daran, jetzt wirklich ganz hier zu sein. Denn genau hier, wo ich bin, da ist das Leben. Das Leben in seiner Gewöhnlichkeit und in seinem Wunder, in seiner Durchschnittlichkeit aber auch in seiner Einmaligkeit und Augenblicklichkeit. Und dazu hilft, kurzzeitig einmal alles an Informationsgeräten abzuschalten. Wie zur Meditationszeit jetzt eine Stunde lang. Oder auch einmal ein Wochenende lang. Nein, das geht nicht! Doch das geht und dann stellt sich diese Freude und die Freiheit ein: JoMO. Nichts verpasst!

Das wünsche ich Ihnen und grüße sie herzlich
Thomas Gertler SJ

9. September 2020

Etwas von diesem Frieden und dieser Freude ist im Psalm 131 zu spüren. Der Beter findet Ruhe und Frieden, Zufriedenheit und Schönheit und Geschmack des Lebens bei Gott. So darf ich auch bei Gott Ruhe und Frieden finden, ohne Angst etwas zu verpassen.

Foto: NZALLI MAMBOU Freddy - CC BY-SA 4.0

Psalm 131,1-3

131,1 Ein Wallfahrtslied. Von David. HERR, mein Herz überhebt sich nicht, nicht hochmütig blicken meine Augen, ich gehe nicht um mit großen Dingen, mit Dingen, die mir nicht begreiflich sind. 2 Vielmehr habe ich besänftigt, habe zur Ruhe gebracht meine Seele. Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, wie das gestillte Kind, so ist meine Seele in mir. 3 Israel, warte auf den HERRN von nun an bis in Ewigkeit!