Fehelerfreundlichkeit

Foto: Phoebe - CC BY-SA 3.0

Fehler gemerkt? Natürlich habe ich ihn diesmal bewusst gemacht, um Sie gleich einzustimmen.

Manchmal werden ja auch schöne neue Wörter gefunden. Dazu gehört für mich die „Fehlerfreundlichkeit“. Der Begriff stammt von Christine von Weizsäcker und ist der Natur abgeschaut. Die Natur ist sehr fehlerfreundlich. Ich meine besonders am Anfang wie zum Beispiel Kindern gegenüber. Die können ja am Anfang noch fast gar nichts richtig. Sie fallen immer wieder hin, aber sie sind als Kinder so gebaut, dass sie sich selten richtig weh tun. Dass sie Fehler machen können, ohne dass es gleich ganz schlimm wird. Fehlerfreundlichkeit. Weitere Beispiele folgen unten.

Im Umgang mit dem PC ist es eher gegenteilig. Er ist für die Anfänger oft mit Panik begleitet, weil er einem so fehlerunfreundlich vorkommt. Totale Perfektion oder Fehlerlosigkeit ist verlangt. Es muss alles richtig sein, gleich von vornherein. Das ist der Eindruck: Ich gebe einen unbedachten Befehl und alles ist weg. Oder ich habe gar nicht gemerkt, dass ich einen Befehl gegeben habe. Nur plötzlich sieht die Seite anders aus und ich weiß gar nicht, wie ich das gemacht habe und wie ich das wieder rückgängig machen kann.

Daran hat sich inzwischen viel gebessert. Und ich habe diese Panik nur noch sehr selten. Aber es gibt sie noch.

Fehlerfreundlichkeit oder Fehlertoleranz wird heute bei besonders gefährlicher Technik eigens bedacht und eingerichtet, also beim Fliegen mit dem Flugzeug oder beim Umgang mit Atomkraftwerken. Da geht es dann oft um doppelte und dreifache Absicherung. Wenn ein Teil ausfällt, sollten noch ein oder gar zwei Ersatzteile einspringen können. Das ist Fehlerfreundlichkeit aus Sicherheitsgründen.

Aber ich meine natürlich Fehlerfreundlichkeit im Leben mit Gott und im Glaubensleben. Da gab es sehr verschiedene Zeiten. Es gab Zeiten, die waren ähnlich von Panik und Angst geprägt, wie für manche beim PC heute. Starke Fehlerunfreundlichkeit. Viele Gläubige meinten damals, dass einem schwere Fehler, ja, schwere Sünden mit der Hölle als Folge passieren können, ohne dass man es richtig gemerkt hat. Das kam aus großer Angst und Unsicherheit Gott und dem Glauben gegenüber und das wiederum verstärkte dann noch die Angst und Unsicherheit Gott und der Kirche gegenüber und führte zu Skrupulosität als einer typisch katholischen Krankheit: War das jetzt eine Sünde oder nicht? Muss ich das beichten oder nicht? Das ist längst vorbei. Nur noch letzte Reste sind davon da. Aber Perfektionismus und Angst als Gründe dafür gibt es natürlich weiterhin. Und sie haben oft Wurzeln in der Kindheit und in Angst und dem Gefühl der Unberechenbarkeit von Mutter oder Vater. Das überträgt sich auf den Glauben und Gott.

Spätestens mit Johannes XXIII. (1881-1963) und dem II. Vatikanischen Konzil (1962-65) setzte eine andere Glaubensverkündigung ein, die nicht mehr von solchem angstbesetzten Perfektionismus geprägt war, sondern die Menschen- und Fehlerfreundlichkeit Jesu und Gottes neu entdeckte und auch verkündete. Und darauf schauen wir jetzt einmal.

Jesus schildert die Großzügigkeit und Fehlerfreundlichkeit beim Verkünden der Frohen Botschaft ganz ähnlich, wie es die Natur selbst tut. Der Prediger gleicht einem Sämann (vgl. Mk 4,3-9), der seinen Samen auch ins Gebüsch streut, auf den Weg, auf unfruchtbaren Boden (was ein Bauer normalerweise unbedingt vermeidet), also überall hin. So wie eine Pusteblume ihren Samen überallhin wehen lässt, oder wie die Eicheln der Eiche oder die Eckern der Buche sich überall verstreuen. Einiges kommt durch und wächst auf und bringt Frucht: dreißigfach, sechzigfach, hundertfach.

Oder noch erstaunlicher: Gott lässt auf seinem Acker auch Unkraut wachsen neben dem guten Weizen. Er reißt das Unkraut nicht aus. Er verwendet keine Pestizide, um das Unkraut zu vernichten. Nein, er lässt es wachsen. Übertragen auf mich: Er lässt mich wachsen und reifen mit großer Fehlerfreundlichkeit. Denn im Unterschied zum Unkraut auf dem Feld kann in meinem Leben Unkraut sich in guten Weizen wandeln. Keine Perfektion um jeden Preis! Keine Zwanghaftigkeit und kein Ausreißen. Geduld und Vertrauen sind Kennzeichen der Pädagogik Gottes.

Wie schwer oder leicht gehen Sie mit Fehlern bei sich selbst und bei anderen um? Es kann sein, dass Perfektionismus und Angst mein Gottesbild bestimmen wie es auch bei unserem Ordensgründer Ignatius (1491-1556) der Fall war. Gott aber hat ihn selbst in die Freiheit und das Vertrauen geführt und ihm die Angst genommen und die Skrupel. Das kann auch bei mir geschehen und ich kann von Gottes Fehlerfreundlichkeit lernen, die mir in der Natur begegnet.

Viele Grüße
Thomas Gertler SJ

26. Oktober 2022

Am besten passt hierher das Gleichnis vom Unkraut im Weizen und auch ein Bild vom Mohn und allem möglichen anderen mitten im Getreide, wie Sie es sehen können – schöner als ein perfekt von allem Unkraut gereinigtes Feld.

Matthäus 13,24 - 30

Mt 13,24 Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. 25 Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg. 26 Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. 27 Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? 28 Er antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? 29 Er entgegnete: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt. 30 Lasst beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune!