Etwas Warmes braucht der Mensch

Kuschelsocken, Kandis und Kerzen. Die Dänen haben es gerne „hyggelig“, so heißt es. Sie mögen es gemütlich, warm und herzlich. Das Hygge-Gefühl entspricht in unserer Sprache in etwa dem Glücklich- und Geborgensein oder, um es mit einer deutschen Suppenwerbung zu sagen: “Etwas Warmes braucht der Mensch“. Der Hygge-Style prägt auch hierzulande die Wohn- und Einrichtungskultur, das Essen, Trinken und Genießen. In den Bahnhofsbuchhandlungen boomen die Hygge-Zeitschriften und in der Bekleidungsbranche weiches und flauschiges Material.

Wir Ostwestfalen sind da von Natur aus eher nüchterner, so heißt es. Allerdings fällt mir der legendäre Wintermantel ein, der - so haben wir es als Kinder gelernt - zu Allerheiligen wieder aus dem Schrank geholt wird. Nun, die alte Allerheiligen-Regel ist zwar spätestens mit dem Klimawandel überholt, aber hinter dem Bild vom warmen Wintermantel steckt wohl nicht nur  das Pragmatische. Auch das Bedürfnis nach innerer Wärme, nach Schutz und Geborgenheit am Beginn der dunklen Jahreszeit drückt sich in dieser Gepflogenheit aus. Unbewusst möchte sich jetzt nicht nur der Körper, sondern auch die Seele schützen und einmummeln gegen den „Novemberblues“. Etwas Warmes braucht der ganze Mensch, mit Leib und Seele.

Ich weiß nicht, ob Sie gerne einen Mantel tragen. Ein Mantel ist keine Jacke, ein Mantel ist kein Anorak. Jacke und Anorak sind eher funktional, praktisch, alltäglich. In einem Mantel aber, so scheint es oft, steht und geht ein Mensch anders, nimmt er oder sie eine irgendwie sonntägliche Haltung ein. Ein Mantel umhüllt und birgt den ganzen Körper vom empfindlichen Hals bis zu den Knien oder Waden. „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich“, so betet der Psalmist (Ps 139,5) und erkennt Gott als den bergenden Hüter im Auf und Ab des Lebens an.

Über die wärmende Funktion hinaus kann ein Mantel auch den Auftrag und die Identität seines Trägers unterstreichen. Das zeigt z.B. die umhüllende Kukulle der Mönche oder Ordensfrauen beim Gemeinschaftsgebet oder die schwarze Robe der Staatsanwältin. Zu besonderen Anlässen tragen Professorinnen und Professoren ihre weiten Talare und der Priester einen feierlichen Chormantel.

Schutzmantelmadonna, Ukraine, 17. Jh.

Vielen Gläubigen ist die Darstellung der Schutzmantel-Madonna wichtig. Unter dem weit ausgebreiteten Umhang der Gottesmutter Maria finden alle, ob arm oder reich, alt oder jung, ja, findet die ganze Welt Zuflucht. Der mittelalterliche Rechtsbrauch des „Mantelschutzes“ liegt hier zugrunde, nach dem Verfolgte Schutz und Asyl unter dem Mantel einer hochgestellten Persönlichkeit fanden. - Wer wünscht sich das nicht manchmal, unabhängig vom Lebensalter: etwas bergendes „Mütterliches“ oder „Väterliches“ in den Bedrohungen des Lebens, wie gerade durch ein unsichtbares Virus.

„Maria, breit den Mantel aus, mach Schirm und Schild für uns daraus. Lass uns darunter sicher stehn, bis alle Stürm vorübergehn.“ (Gotteslob 534)

 

Auch ein berühmter Mantel aus Frankreich ist aus dem christlichen Brauchtum nicht wegzudenken. Martin von Tours war es, der nach der Überlieferung im 4. Jahrhundert „mit dem Schwerte teilt den warmen Mantel unverweilt“. Hier gibt jemand freiwillig etwas ab von seinem Hab und Gut. Er gibt aber nicht nur ein Stück Mantelstoff. Er riskiert vielmehr sein eigenes Wohl, während er einem lumpentragenden Bettler Ansehen und Würde schenkt. Deshalb dürfte es dem armen Mann am Wegesrand nicht nur körperlich, sondern vielmehr noch warm ums Herz geworden sein. „Er [Gott] kleidet mich in Gewänder des Heils, er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit." (Jesaja 61,10)

Etwas Warmes braucht der Mensch, braucht die Welt. Wie gut, dass bald mit dem 1. Advent neues zaghaftes Licht aufleuchten will. Auch wenn in diesem Jahr die Weihnachtsmärkte ausfallen und nach Joseph von Eichendorff wirklich einmal „Markt und Straßen steh’n verlassen“, so will es IN uns warm und licht werden – weit über ein Hygge-Gefühl hinaus. Denn GOTT hält seine „Gewänder des Heils“ für uns bereit!

Foto: Rufus46 - CC BY-SA 3.0
Ernst Barlach, Der Asket

Vielleicht mögen Sie es während des persönlichen Betens zu Hause einmal ganz real ausprobieren, wie es ist, sich mit einer Decke oder einem Schal um die Schultern einzuhüllen. Sie können sich dabei vorstellen, dass Gott Sie mit seiner Güte und seinem Heil umfängt. Auch der Körper und die Sinne beten ja mit. Als formuliertes Gebet empfehle ich Ihnen dabei zum Beispiel die Worte der heiligen Edith Stein, die da enden: „… deinen Händen bette ich mich ein“ (Impuls vom 21.10.2020) oder einfach eine Zeitlang wiederholend: „Gott, du bist da.“

Dabei wünsche ich Ihnen die Erfahrung oder zumindest die Sehnsucht der Menschen von damals in der Bibel, die spürten: „Es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte.“ (Lukas 6,19)

In der Hoffnung, dass Sie’s warm haben und gut ummantelt sind, grüßt Sie herzlich
Marlies Fricke (GCL)

25. November 2020

Zerbrechlich und verwundet, so erleben wir die Welt im Herbst 2020. Zur Zeit Jesu hatten viele Menschen aus Judäa und von der Mittelmeerküste in all ihren Gebrechen ein Ziel, sie wollten zu Jesus.

Foto: Ketut Subiyanto via Pexels.com

Lukas-Evangelium  6,17-19

17 Jesus stieg mit ihnen den Berg hinab. In der Ebene blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon 18 waren gekommen, um ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden. Und die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt. 19 Alle Leute versuchten, ihn zu berühren; denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte.