Einfach sein lassen

Foto: Dr. G. Briemle, Aulendorf - CC BY-SA 3.0

Das klingt sehr nach Resignation und das kann auch möglicherweise ganz resignativ sein, nämlich dass ich mir sage: ich lass es jetzt einfach sein. Ich mache nicht mehr mit. Ich mühe mich nicht mehr länger. Ich gebe auf und lasse es sein.

Das wird zum Beispiel noch in diesem Jahr mit diesen Impulsen auf „Update-Seele“ geschehen. Ich werde aufhören und sie sein lassen, weil ich nun 75 Jahre werde und es mal gut sein muss. Aber da höre ich auch nicht aus Resignation auf, sondern weil ich nicht darauf warten will, dass es nicht mehr geht, mir nichts mehr einfällt und ich hören muss: „Da hat er auch schon Besseres geschrieben. Und es ist Zeit, dass er aufhört.“ Sein lassen und aufhören, weil es an der Zeit ist.

Aber mir geht es mit diesem Wort „einfach sein lassen“ weniger um das Aufgeben und um das Resignative, sondern um das „einfach sein lassen“ als etwas Positives. Als etwas zutiefst Positives. Wir in Deutschland sind ja immer sehr versucht, andere zu erziehen, also die anderen gerade nicht sein zu lassen, sondern an ihnen rum zu zuppeln! Oft und gern. Das ist mir nie so stark aufgefallen wie nach der Rückkehr von einem Auslands-Jahr. Als ich nach so langer Zeit heimkam, sah ich immer und überall diesen typisch deutschen pädagogischen Zeigefinger. Vor allem im Straßenverkehr zeigen wir uns so und zeigen wir ihn so gern. Und ich muss zugeben, ich bin gar nicht besser. Wenn ich im Auto sitze, mache ich es zu gern genauso und schimpfe laut, vor allem wenn ich allein im Auto sitze. Von wegen „einfach sein lassen“ Mach ich eben nicht.

Dabei gibt es kaum etwas Schöneres als zum Beispiel diese Sommerwiese oben im Bild. Die wächst einfach so, wenn man sie lässt und nicht auf englischen Rasen trimmt. In solch einer Fülle, einer solchen Unterschiedlichkeit und es wächst eben einfach miteinander auf, wenn man es lässt. Und ich finde es großartig, wenn heute oft auch in den öffentlichen Gärten und Parks auf den Wiesen ein Teil nicht gemäht wird, sondern ungemäht bleibt und so gelassen wird. Das wird dann oft wie die Wiese oben und ist ein Lebensort für Insekten und Vögel.

Darum will ich es üben, das Seinlassen. Es ist etwas sehr Positives, so habe ich gesagt und das ist es auch. Denn das Seinlassen ist zuallererst Sache Gottes. Er lässt sein. Er lässt uns sein. Er will, dass wir da sind. Wie die Sommerwiese. Und zwar als die, die wir sind und werden sollen. Er lässt uns sein und will, dass wir da sind. Merken Sie den sehr positiven Sinn des Seinlassens? Es ist das positive Seinlassen, wie es eine gute Mutter und ein guter Vater mit ihren Kindern tun. Nicht immer rumerziehen und überwachen wie die überbesorgten Helikoptereltern, sondern mit liebevollem Blick laufen und sein lassen. Wie schön ist es, wenn das Kind selbst läuft. Sogar wenn es immer wieder hinfällt. Wie schön ist es, wenn das Kind sagt: „Selber!“ Und damit meint: „Lass mich meinen Brei selber essen, auch wenn es kleckert.“ „Selber!“ und bei so vielen anderen Dingen. Sein lassen und seine Freude daran haben.

Und das gibt ja auch genauso unter uns Erwachsenen. Wie gut ist es, wenn ich den anderen sein lasse in solch einem positiven Sinn. Dann mache ich es wie Gott. Er lässt uns sein. Er lässt uns gehen. Er freut sich, dass wir da sind. Er achtet unsere Freiheit. Er erzieht nicht immer an uns rum. Er traut uns zu, dass wir ganz viel selber können. Ja, genau so soll unser Umgang miteinander sein. Dem anderen das Dasein und Sosein gönnen. Auf Kölsch: „Mer muss och jünne künne.“ Ja, noch mehr, sich daran freuen, dass es den anderen, die andere gibt, und zwar so gibt, wie sie ist und wie er ist. Ja, das ist ein Geschenk, auch wenn es ein begrenztes Geschenk ist. Wir haben unsere Eigenheiten und Begrenztheiten, und die gehen auf die Nerven. Wenn ich sie aber mal sein lasse, dann kann ich sogar darüber lachen.

Wer das mit am besten konnte, das war Hanns Dieter Hüsch, wenn er über Menschen vom Niederrhein erzählte. Er konnte die Eigenheiten schildern mit Liebe und Humor und ließ gerade daran auch Heimat erkennen und sich selbst mit den Grenzen und Unmöglichkeiten, aber auch all der Liebenswürdigkeit, mit den Schrullen und seltsamen Gewohnheiten. Einfach sein lassen können, das konnte er.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

28. Juni 2023

Jesus macht uns darauf aufmerksam, dass der Vater uns sein lässt und sich um uns kümmert, so wie er die Vögel und die Blumen nährt und kleidet. Seht darauf, sagt uns Jesus, und seid selbst ohne Sorge, denn er will, dass wir da sind. Seht zum Beispiel auf diese große Schar von Staren, die am abendlichen Himmel fliegen.

Matthäus 6,25 - 34

25 Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? 26 Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? 27 Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne verlängern? 28 Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien des Feldes, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. 29 Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. 30 Wenn aber Gott schon das Gras so kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen in den Ofen geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! 31 Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? 32 Denn nach alldem streben die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. 33 Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben. 34 Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage.