
Foto: Aref Al Ammari - CC BY 3.0
Das ist eine Zeile aus einem Lied, einem neuen geistlichen Lied von Huub Oosterhuis, das Sie vielleicht schon einmal gesungen haben: „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr …“. Die Übersetzung stammt von Lothar Zenetti. Es steht im Gotteslob unter 422 und im Evangelischen Gesangbuch unter 382. Lange Zeit habe ich diese Zeile einfach so mitgesungen und habe gar nicht darüber nachgedacht. „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.“ Sie kommt einfach so selbstverständlich und wie nebenbei daher. Dabei ist sie doch bedenkenswert. Und diese Zeile zu bedenken, will ich jetzt mit Ihnen gemeinsam tun.
„Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.“ Wenn ich bete, so bete ich immer schon in der Gegenwart Gottes. Nein, das ist zu wenig. Gott verleiht mir nicht nur den Atem für mein Gebet. Er ist selbst der Atem bei meinem Gebet. Er betet immer schon mit mir und in mir. Das stimmt mit dem überein, was Paulus an die Römer schreibt: Röm 8, 26 So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern. 27 Der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist. Denn er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein.
In uns betet der Geist. Das ist dann noch mehr als das Lied sagt. Wir beten, aber Gottes Geist ergänzt und macht unser Gebet richtig und Gott gemäß. Das ist auch sehr tröstlich, denn unser tägliches Beten und Flehen ist doch oft sehr ich-bezogen und wenig überlegt und bedacht. Es ist gut zu wissen, dass da der Geist unser Gebet vergeistigt. Er tut es. Wir spüren es gar nicht. Aber es geschieht. Obwohl wir also bedenken sollten, was wir beten, so dürfen wir doch getrost genauso unbedacht und unbesonnen beten, wie wir es meist tun. Der Geist macht es richtig.
Das Wort: „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete“, sagt noch etwas Anderes und Wichtiges. Gebet ist nicht nur geistgewirkt und geistdurchwirkt. Es ist auch immer leibhaftig, auch wenn es quasi nur im Kopf und ohne ausgesprochene Worte geschieht. Während ich atme, bete ich. Also auch wenn ich still vor meiner Kerze und meinem Jesusbild sitze, atme ich, sitze ich, bin ich im Leibe da. Und das Atmen selbst ist dauernder Austausch mit der Welt, mit dem Ganzen und damit auch mit Gott, auch wenn ich es nicht merke.
Es gibt folgenden genialen Spruch von Goethe, der das ausdrückt, der meinem Aus- und Einatmen folgt und es als Wirken Gottes in mir versteht. Als das Bedrängen und Pressen durch Gottes Geist beim Einatmen. Das Ausatmen wiederum als Loslassen und Entlassen des Geistes Gottes:
Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehen, sich ihrer entladen;
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich presst,
Und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt.
West-östlicher Divan, Buch des Sängers
Das „Beten ohne Unterlass“, von dem der 1. Thessalonicherbrief (5,17) spricht, und das zum so genannten Jesusgebet geführt hat, knüpft genau hier an. Das Jesusgebet verbindet sich mit meinem Atmen und führt nach langem Üben zu diesem Beten ohne Unterlass, ja, zu einem Gebet, das immer geschieht und gar nicht mehr bewusst und ausdrücklich geschieht, wie es mit meinem Atmen ja ist. Dass ich überhaupt atme, merke ich ja meist erst, wenn ich außer Atem bin oder mich einmal bewusst darauf konzentriere. Im Atem ist Gott schon immer bei mir und mit mir.
Vieles kann noch bedacht und meditiert werden über diesen Satz: „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.“ Das überlasse ich aber Ihnen und Ihrer Gebetszeit.
Viele Grüße
Thomas Gertler SJ
19. Oktober 2022
Als Text habe ich diesmal ein Wort von Romani Guardini ausgewählt und als Bild die „Russische Bettlerin“ von Ernst Barlach, worin die Haltung des Empfangens ganz und gar leibhaft ausgedrückt ist.

Foto: Jula2812 - CC BY-SA 4.0
Immerfort empfange ich mich aus Deiner Hand.
So ist es und so soll es sein.
Das ist meine Wahrheit
und meine Freude.
Immerfort blickt Dein Auge mich an,
und ich lebe aus Deinem Blick,
Du mein Schöpfer und mein Heil.
Lehre mich in der Stille
Deiner Gegenwart,
das Geheimnis zu verstehen,
das ich bin.
Und das ich bin durch dich und vor dir und für dich.“
Romano Guardini