
Foto: B.Jehle - CC BY-SA 3.0
Ja, das ist ein schreckliches Bild. Es ist auch eine schreckliche Krankheit und wir wollen das gar nicht sehen. Und das ist schon immer so. Diese Krankheit wollen wir nicht sehen und darum werden Menschen mit dieser Krankheit ausgesetzt. Aus der menschlichen Gemeinschaft herausgesetzt, natürlich auch wegen der Ansteckung. Und das ist auch ihr alter Name „Aussatz“. Heute sagen wir Lepra und diese Krankheit gibt es bis heute.
Bei mir saß jetzt eine Ordensschwester, die 40 Jahre in Brasilien gelebt hat. Sie hat für die Leprakranken gearbeitet und sich um sie gekümmert. Und sie erzählte mir von Donna Maria. Der Pfarrer Don Antonio und sie als Pfarrschwester machten einmal im Jahr eine Bootsreise durch die riesige Pfarrei. Sie dauerte sechs Wochen und sie besuchten jede Hütte am Fluss. Auf dem Heimweg kamen sie an einer Hütte vorbei, die sie übersehen hatten. Dort trafen sie auf Donna Maria, eine junge Frau, sie war ganz allein in ihrer Hütte, die aus nicht weiter bestand als einem Blätterdach auf vier Pfählen. Sie lag darin in ihrer Hängematte, völlig abgemagert und schwer vom Aussatz gezeichnet. Hände und Füße waren nur noch Stümpfe. Die Augen nur noch leere Höhlen.
Als die Schwester und der Pfarrer sie besuchen kamen, rief sie voller Freude: „Ich wusste, dass heute jemand zu Besuch kommt. Jesus hat es mir gesagt.“ Sonst kam alle zwei Tage die Nachbarin zu ihr und brachte frisches Wasser und Maniokmehl zum Essen. Sonst war sie allein. Der Mann hatte sie verlassen wegen ihrer Krankheit. Sie aber war fröhlich und sang Lieder für Jesus. Es war unglaublich. Sie klagte nicht, war nicht verzweifelt, sondern dankbar und froh. Sie hörte ein kleines Radio mit dem Rundfunksender der Pfarrei, solange die Batterien reichten. Daher lernte sie die Lieder, die sie sang.
Der Pfarrer sagte: Wir können sie unmöglich hier allein lassen. Wir müssen sie mitnehmen. Und das taten sie, trugen sie hinunter ins Boot und brachten sie in das Leprosorium der Pfarrei. Dort konnten ihre Wunden versorgt werden. Dort konnte die Lepra gestoppt werden. 15 Jahre hat Donna Maria dort noch gelebt und war der Sonnenschein des Hauses. Sie war allezeit fröhlich und dankbar und machte die anderen fröhlich und dankbar.
Das ist die eigentliche Lebenskunst, sich beschenkt zu wissen und daraus dankbar zu sein. Donna Maria war Meisterin in dieser Lebenskunst. Es ist ein Geschenk, aber es ist auch Anstrengung von einem selbst. Oft haben wir diese Kunst der Dankbarkeit schon von den Eltern und in der Familie gelernt. Es erfordert eine eigene Art der Aufmerksamkeit für das Gute, für das Gute der Schöpfung, für das Gute im eigenen Erleben, für das Gute der Mitmenschen. Das können wir üben. Dafür können wir selbst das Unsere tun. Wir nehmen das Gute nämlich viel zu sehr als das Selbstverständliche, als das, was gefälligst so sein sollte. Dabei ist das Gute in einer vom Bösen beeinträchtigten Welt immer das Wunder und das Wunderbare. Dieses Wunderbare nehmen oft diejenigen Menschen leichter wahr, bei denen das Schlimme, das Hässliche, das Misslingende an der Tagesordnung ist. Sie können sich oft leichter freuen und dankbar sein für Dinge, die uns hier in Mitteleuropa selbstverständlich sind.
Dennoch ist Donna Maria selbst ein Wunder und ein Geschenk für ihre Mitmenschen. Ihre Geschichte erinnert mich an die Geschichte von den zehn Aussätzigen, die der Evangelist Lukas erzählt. Alle zehn bitten Jesus um Heilung. Alle zehn werden gesund und geheilt vom Aussatz. Einer nur von den Zehn kehrt um zu Jesus und dankt ihm. Er hat gemerkt, dass ihm hier nicht nur Gesundheit geschenkt wurde, sondern Heil. Dass ihm nicht nur Gesundheit geschenkt wurde, sondern darin auch Gottes Liebe, Gottes Zuwendung und Gottes Annahme und Barmherzigkeit.
Das war auch Donna Marias Gabe. Sie hat in den kleinsten Dingen des Alltags hinüberschauen können auf Gottes Liebe, Annahme und Güte und hat sie darum als Freude und Gesang ausgestrahlt.
Dass es auch ein jeder von uns besser übt und kann, dazu ermutigt uns Donna Maria.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
25. Oktober 2023
Hier sehen Sie ein ganz altes Bild mit dieser Geschichte aus dem so genannten Kodex Aureus von Echternach aus dem 11. Jahrhundert.
Lukas 17,11 - 19
17,11 Und es geschah auf dem Weg nach Jerusalem: Jesus zog durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. 12 Als er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen 13 und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns! 14 Als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht, zeigt euch den Priestern! Und es geschah, während sie hingingen, wurden sie rein. 15 Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. 16 Er warf sich vor den Füßen Jesu auf das Angesicht und dankte ihm. Dieser Mann war ein Samariter. 17 Da sagte Jesus: Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die neun? 18 Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? 19 Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.