
Foto: Hp. Baumeler - CC BY-SA 4.0
Das Innere des Menschen kennt drei Zonen. Die innerste ist nach der Tradition die Seelenspitze oder das Seelen-Fünklein oder der Raum, in dem Gott schon wohnt. Wo es gut ist und wo es sehr gut ist, wie der Schöpfer selbst sagt (Gen 1,4 u. 31). Das ist der unzerstörbar heile und tiefste Raum in einem jeden Menschen.
Die zweite Zone da herum und darüber ist die Zone voller Dornen und Disteln. Es ist die Zone des Schmerzes, des Leidens, der Bitterkeit, der Enttäuschungen, der Verletzungen, der Wut, des Hasses, der Schuld. Hier herrschen Langeweile, Sinnlosigkeit und Leere. Es ist die Zone des Missverstehens und Missverstanden Werdens, der Traurigkeit und Einsamkeit.
Darüber baut sich als drittes eine Schutzzone auf, die verhindert, dass wir diese zweite Zone berühren und uns mit ihr auseinandersetzen. Ein dickes Polster gegen Schmerz und Leid. Das besteht aus, wie Piet van Breemen (1927-2021) schreibt, „Besitz und Konsum, Karriere und Profit, Ehre und Ansehen. Oft ist auch ein gutes Stück Frömmigkeit in diese Abwehrschicht eingebaut. Gegebenenfalls können auch Arbeitssucht, Alkohol und Drogen eine Rolle spielen. Die meisten Werte dieser dritten Zone sind zweideutig. Sie können zur wahren Identität und zu Gott führen, sie können uns aber auch davon wegziehen. Es ist eine Zone der Ambivalenz – weder heiß noch kalt, weder ein hochherziges Ja noch ein deutliches Nein. Manches Leben spielt sich bewusst und gewollt nur in dieser dritten Zone ab“ (aus: Erfüllt von Gottes Licht. Eine Spiritualität des Alltags, Echter-Verlag 1997,27).
Das ist das Leben in Oberflächlichkeit und in der Gefahr der Gleichgültigkeit. Und die längste Reise besteht darin, von dort durch die Zone des Leidens in das Innerste zu gelangen, wo Gott auf mich wartet. Das ist die lange Reise der Umkehr und Heimkehr. Die lange Reise der Versöhnung und Vergebung. Die lange Reise der Begegnung mit meiner Schuld und meinem Versagen. Also mit all dem, was wir nicht wollen, was wir nicht sehen und wahrhaben wollen. Was es gar nicht geben sollte. Aber es ist auch Reise der Versöhnung und der Vergebung, des Heilwerdens und des Friedens. Das ist die längste Reise, weil sie meist ein Leben lang dauert, weil sie zumeist immer wieder angetreten und fortgesetzt werden muss.
Ein Symbol für diese lange Reise ist das Labyrinth, wie es oben abgebildet ist und in dieser Form aus der Kathedrale von Chartres stammt. Hier ist es aber viel größer und im Freien in Namibia. Bei dieser Reise durch das Labyrinth bis ins heile Innerste kommt unweigerlich jeder an – das ist das Tröstliche –, wenn er nicht stehen bleibt, wenn er nicht umkehrt und immer weiter Schritt vor Schritt setzt. Aber er kommt dieser heilen Mitte mal näher, mal entfernt er sich wieder. Mal denkt man, jetzt sei man da und dann geht es wieder ganz weit weg, nach außen. Es dauert und es darf auch dauern. Und was das Labyrinth nicht zeigt, es ist die Mitte nicht nur mal nahe, mal fern, nein, es tut auch weh und schmerzt, da unterwegs zu sein. Wie Jesus es sagt: „Wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt 16,24). Denn wir müssen ja durch diese schmerzende zweite Zone hindurch, sie durchschreiten und dabei durcharbeiten, sie heilen und sich versöhnen lassen, vergeben und Vergebung empfangen. Meistens passiv. Ich lasse es geschehen. Ich leide es. Ich leide es, dass Gottes heilender Geist wirkt.
Warum, um Gottes Willen, soll ich eine solche schwere Reise antreten? Ist es in der dritten Comfort Zone nicht viel besser? Ja, so empfinden wir lange und bleiben lange da.
Wenn ich aber zum lebendigen und wahren Leben finden will, muss ich mich auf den Weg machen.
Es grüßt Sie herzlich und wünscht Ihnen Mut zum ersten oder zum nächsten Schritt
Thomas Gertler SJ
12. Januar 2022
Der Psalm 126 ist ein Wallfahrtspsalm. Er fasst den langen Weg im Bild von Aussaat und Ernte. Aussaat voller Mühe und Beschwernis, voller Tränen und Last. Und dann nach der langen Reise durch das Jahr Ernte voller Freude und Jubel. Dieser Psalm war für uns der Psalm des Jahres 1989. Das Lied, das sich nach vierzig Jahren erfüllte: „Wende doch, Herr, unser Geschick…“ Es ist aber auch das Lied der Ankunft nach all der Mühe in der Mitte, in der Liebe, im Jubel, nicht nur damals auch heute, wenn ich dort ankomme.

Foto: Trish Steel - CC BY-SA 2.0
Von Tränen zum Jubel
1 Ein Wallfahrtslied. Als der HERR das Geschick Zions wendete, da waren wir wie Träumende. 2 Da füllte sich unser Mund mit Lachen und unsere Zunge mit Jubel. Da sagte man unter den Völkern: Groß hat der HERR an ihnen gehandelt! 3 Ja, groß hat der HERR an uns gehandelt. Da waren wir voll Freude. 4 Wende doch, HERR, unser Geschick wie die Bäche im Südland! 5 Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten. 6 Sie gehen, ja gehen und weinen und tragen zur Aussaat den Samen. Sie kommen, ja kommen mit Jubel und bringen ihre Garben.