Die Kerze

 

Tief ist die Nacht und der Winter ist dunkel und schwer.
Alle die blühenden Sommer gingen dahin.
Alle die glühenden Gärten und innigen Wiesen sind leer.
Arm ist die Nacht und es glüht eine einsame Kerze darin.

November und Dezember, die dunkle und oft traurige und schwere Jahreszeit. Das haben wir schon in der vergangenen Woche betrachtet. Oben im Bild leuchtet eine Kerze aus Bienenwachs und verbreitet ihr warmes Licht im dunklen Zimmer. Bei der Erinnerung an die helle blühende, ja, glühende Sommerzeit mit den summenden blumenübersäten Wiesen macht sich für mich heute das Gefühl der Leere und Einsamkeit breit. Keine Blätter an den Bäumen, keine Blumen in den Gärten. Alles dahin. Jeder hat sich zurückgezogen und sitzt einsam und armselig in seinem Zimmer vor der Kerzenflamme und denkt zurück.

Aber trugen nicht tausend Bienen den Sommer der Wiesen
Heim und bauten daraus die goldenen Waben?
Leuchten uns nicht die jubelnden Gärten aus dieser
Honigfarbenen Kerze, die wir entzündet haben?

Alles dahin? Alles traurig und leer? Nein, schau doch nur auf die Kerze. Sie sagt etwas anderes. Ihr Licht, das jetzt leuchtet, ihr Duft, den sie hier verströmt, bringt dir nicht nur die Erinnerung an den Sommer und Herbst in ihrer Fruchtbarkeit, ihrer Helligkeit und Schönheit, nein, sie enthält sie selbst konzentriert in sich. Verdichtet in der Kerze durch den Fleiß der Biene und den Fleiß der Menschen ist die ganze helle und warme Jahreszeit jetzt bei uns. Aufgehoben und verwandelt für die dunkle und traurige Jahreszeit sind die Helligkeit, die Schönheit der Blüten, die Freude. Verdichtet für uns nochmals im tröstenden Wort des Dichters.

Keines Sommers Geheimnis war uns zu rauben.
Keiner ging so, wie die Fremdlinge hingehen, hin.
Siehe: die Kerze glüht durch die drohende Nacht und wir glauben
Alles vergänglichen Blühns unsterblichen Sinn.

Johannes Kirschweng (1900-1951)

Wir glauben an den unsterblichen Sinn alles vergänglichen Blühens. Johannes Kirschweng, der Dichter und Priester aus dem Saarland, geht mit uns noch einen Schritt weiter. Was die Kerze schon kündet von der vergänglichen Schönheit der Natur und der Menschen, aufbewahrt in Licht und Duft der Bienenwachskerze, das will uns etwas sagen über das Ganze unseres vergänglichen Lebens. Diese Kerze erinnert uns, dass all das vergängliche liebende Tun unseres Lebens eingesammelt wird, hinein in das Licht des Sterns, der den Weg weist zum Kind in der Krippe, zu Jesus, dem Licht der Welt. Hinein in die große Weihnachts- und die große Osterkerze, die glüht in der dunklen Nacht des Todes und sie besiegt. Hinein in die strahlenden Gesichter der Erlösten, die Gott loben. Nichts ist verloren, nein, es ist eingesammelt und zur Frucht geworden. Das ist der Sinn unseres vergänglichen Blühens.

Denken Sie in Ihrer Gebetszeit an die schönste Erfahrung, die schönste Begegnung im vergangenen Sommer und glauben Sie, dass sie nicht verloren ist, sondern aufbewahrt und verwandelt ist in Gott, schöner noch als der Nektar der Blüten im Honig und im Wachs der Kerze.

Ich grüße Sie herzlich und wünsche einen lichtvollen dritten Advent,
Thomas Gertler SJ

9. Dezember 2020

Der Prophet Jesaja verheißt den Gottesknecht, der das Recht bringt und das Licht verbreitet, das so hell strahlt, dass selbst die Blinden wieder sehen können. Für uns ist Jesus dieses Licht der Völker. Er hat sich selbst als das Licht der Welt bezeichnet im Johannes-Evangelium (8,2). Von diesem Licht sollen wir uns anstecken lassen und selbst zum Licht der Welt werden in den guten Taten, die wir den Menschen und der ganzen Natur leisten (Mt 5,14ff).

Das Licht strahlt über die Erde – gesehen aus der Weltraumstation.
Foto: NASA

 

Jesaja 42,1 - 9

42,1 Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Nationen das Recht. 2 Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Gasse erschallen. 3 Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht. 4 Er verglimmt nicht und wird nicht geknickt, bis er auf der Erde das Recht begründet hat. Auf seine Weisung warten die Inseln. 5 So spricht Gott, der HERR, der den Himmel erschaffen und ausgespannt hat, der die Erde gemacht hat und alles, was auf ihr wächst, der dem Volk auf ihr Atem gibt und Geist allen, die auf ihr gehen. 6 Ich, der HERR, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand. Ich schaffe und mache dich zum Bund mit dem Volk, zum Licht der Nationen, 7 um blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und die im Dunkel sitzen, aus der Haft. 8 Ich bin der HERR, das ist mein Name; ich überlasse die Ehre, die mir gebührt, keinem andern, meinen Ruhm nicht den Götzen. 9 Siehe, das Frühere ist eingetroffen, Neues kündige ich an. Noch ehe es zum Vorschein kommt, mache ich es euch bekannt.