
Foto: James Mann - CC BY 2.0
Geistreicher Spruch! Ja, das ist tatsächlich so und es ist wenig bedacht. Und es ist so schön gegen den Strich (und hier mit Gedankenstrich) gedacht. Schnee von gestern ist ja zumeist das Hinterletzte. Schnee von gestern ist das, was schon dahingeschmolzen ist, was kaum mehr zu sehen ist und jetzt sind nur noch feuchte Wiese, ein nasser Zweig oder gar Matsch übrig. Das sieht man jedenfalls beim Schnee von gestern vor sich. Es ist ein scharfes, ja fast vernichtendes Urteil über eine Sache, eine Meinung, eine Mode.
Gerade die Mode von gestern ist etwas so Vergangenes und Veraltetes. Man kann gar nicht verstehen, wie man solche Hosen, Hemden, Kleider einmal toll und schick gefunden und selber getragen hat. Was mal letzter Schrei war, das ist nun abscheulich. Aber siehe da: eine Generation weiter ist dann die Schlaghose wieder schick oder der Nierentisch ein Sammlerstück. Schnee von gestern ist zur Quelle von morgen geworden.
Das trifft nahezu auf alle Moden zu. Die gerade vergangene ist zum Abscheu geworden, nichts mehr will man davon hören oder sehen. Eine Generation weiter ist es wieder schick. Das ist bei der Kleidermode oder auch der Möbelmode besonders greifbar, aber es betrifft auch unsere Werte und Philosophien.
Und es trifft darum mitten hinein in die Auseinandersetzungen der Gegenwart sei es in der Gesellschaft, sei es in der Kirche. Ich möchte es gar nicht so sehr anschärfen und richtig verletzend machen. Sie können es sich selbst vorstellen oder Sie erleben es selbst. Täglich wird in den Nachrichten darüber gesprochen. In der Gesellschaft gibt es einen solchen Ruck nach rechts und eine Kritik an linken Positionen, an den Alt-Achtundsechzigern. In der Kirche entdecken die Jungen nun wieder die Frömmigkeitsformen der Großväter und Großmütter vor dem Konzil. Und das erschreckt oder führt auch zu richtigen Spannungen und Spaltungen. Ja, manchmal zu Verurteilungen und Gesprächsverweigerung.
Für mich ist der Spruch jedoch ein Trost, um die Spannungen, in denen wir leben etwas zu relativieren und ihnen die Schärfe zu nehmen. Was meine ich? Wir können die Spannungen immer noch verschärfen und damit in Hass und Gewalt übergehen lassen. Das geschieht ja zuweilen und auch davon sind die Nachrichten voll. Die Existenz von so genannten Informationsblasen, in denen nur die eigene Meinung bestätigt und verstärkt wird, macht es schlimmer.
Aber wenn ich es so nach diesem Spruch anschaue, dann kann ich wahrnehmen, dass die gerade bestehende oder aufkommende Mode nur eine Weile bestehen wird und dann auch wieder eine andere kommt und die gerade aktuelle ablöst und zwar meistens dadurch, dass es zunächst als Gegenteil erscheint, aber doch nur eine Reaktion auf die Extreme der aktuellen ist und eine berechtigte Korrektur enthält.
Das ist ja gerade auch das Schöne an dem Bild von den Jahreszeiten, das hinter unserem Spruch steht. Winter ist das Gegenteil des Sommers und wird nach einer Weile wieder abgelöst, aber wie schön, wenn der Schnee des Winters mir als plätschernde Quelle im heißen Sommer begegnet. Oder wenn das Buch von Romano Guardini über Jesus (Der Herr – Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi, 1937) endlich einmal gelesen wird.
Schauen Sie einmal in die eigene Generationen-Geschichte mit diesem Spruch: Der Schnee von gestern ist die Quelle von morgen. Entdecken Sie seine Wahrheit und schauen Sie von da etwas weniger angstvoll auf diesen Wechsel der natürlichen, der geistigen und politischen Jahreszeiten. Ja, Ängste sind berechtigt, aber sie neigen auch zur Übertreibung.
Viele Grüße und denken Sie daran, dass nichts aus Gottes Hand herausfällt.
Thomas Gertler SJ
9. November 2022.
Jesu Lehre und Auftreten galt vielen aus seiner Generation als revolutionär und neu, aber es ist in ganz vielem nur ein Rückgriff auf die Schriften, aber eben nicht in der Auslegung und Tradition der Schriftgelehrten und Pharisäer seiner Zeit, sondern auf die ursprünglichen Texte. Da plötzlich erschien Altes neu. Schnee von gestern war zur Quelle geworden. Und das sagt er auch uns, wenn wir aus dem christlichen Glauben die alten Schriften lesen. So sagt Jesus am Ende einer langen Gleichnisrede:

Foto: Szilas - CC BY-SA 4.0
Matthäus 13,51- 52
13,51 Habt ihr das alles verstanden? Sie antworteten ihm: Ja. 52 Da sagte er zu ihnen: Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt.