
Foto: 3268zauber - CC BY-SA 3.0
Im Kloster Marienrode bei Hildesheim haben wir 1000 Jahre Bischof Godehard gefeiert. Dort war auf den Kirchenbänken als Zeichen für die rechten Corona-Abstände der Gottesdienstbesucher eine Karte angebracht mit dem folgenden Gedicht von Schalom Ben-Chorin. Ich bringe es Ihnen heute mit.
Das Zeichen
Freunde, dass der Mandelzweig
Wieder blüht und treibt,
Ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging,
So viel Blut auch schreit,
Achtet dieses nicht gering,
In der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg,
Eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
Leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.
Dieses Gedicht hat Schalom Ben Chorin 1942 in Jerusalem geschrieben. Mitten im Krieg und mitten in der Schoah, der Vernichtung des jüdischen Volkes. Er war 1935 aus Deutschland weggegangen, weil für ihn als Juden das Leben in Berlin unerträglich geworden war. Er war damals gerade 29 Jahre alt. Und er sah vom Balkon vor seinem Zimmer auf einen Mandelbaum. Der bringt schon seine Blüten hervor, wenn alle anderen Bäume noch kahl und leer sind. Es war ihm ein Hoffnungszeichen und er hat daraus dieses Gedicht gemacht. Es ist auch vertont worden und hier können Sie es hören und mitsingen.
Jetzt soll es die Gottesdienstbesucher in Marienrode trösten angesichts des Krieges in der Ukraine und in allen anderen Weltgegenden, wo Krieg herrscht und Menschen getötet werden. Das Lied ist immer noch aktuell, ja es wirkt, als sei es für uns heute geschrieben. Und für mich passt es besonders in diese Osterzeit, wo Krieg wütet und uns zugleich die Botschaft der Hoffnung erreichen soll.
Das Lied nimmt Stellung und fragt uns. Was ist stärker und was ist mächtiger? Was wird sich durchsetzen? Leben oder Tod? Hass oder Liebe? Gerade Ostern sagt uns: auch wenn anscheinend der Tod alles vernichtet und zerstampft, zertritt und besiegt, nein, die Liebe und das Leben sind stärker. Gottes Liebe und Gottes Leben sind stärker. Dafür ist der Mandelzweig ein Zeichen.
Und da darf man sich gerade erinnern, dass es am Hildesheimer Dom auch so ein Zeichen und ein Wunder gibt, nämlich den tausendjährigen Rosenstock. Er trieb wieder aus nach der

Foto: Stefan Schäfer, Lich - CC BY-SA 4.0
Zerstörung des Domes im Jahr 1945. Da war von ihm fast nichts mehr zu sehen. Heute bedeckt er die Apsis des Doms von außen. Er wächst und treibt und blüht. Ein Zeichen der Hoffnung wie der Mandelzweig.
Haben Sie Hoffnung! Sogar Hoffnung über Krieg und Tod hinaus. Gott schenkt Leben über dieses Leben hinaus. Daran erinnern diese Zeichen!
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
11. Mai 2022
Das Gedicht vom Mandelzweig erinnert auch an ein Wort aus dem Propheten Jeremia, in dem Gott den Propheten aufruft, auf den Mandelzweig (hebräisch schaked) zu schauen. Das Wort für Mandelzweig klingt im Habräischen wie das Wort für wachen und nach etwas sehen (schoked). „Nicht alle unsere Wünsche erfüllt Gott, aber alle seine Verheißungen“ (Dietrich. Bonhoeffer). Ilja Repin (1844-1930), der bekannte russische Maler, hat den Propheten Jeremia gemalt als den Propheten, der Jerusalems Zerstörung erlebt.
Jeremia 1,11-12
1,11 Das Wort des HERRN erging an mich: Was siehst du, Jeremia? Ich antwortete: Einen Mandelzweig sehe ich. 12 Da sprach der HERR zu mir: Du hast richtig gesehen; denn ich wache über mein Wort und führe es aus.