Bevor es in den Urlaub an die Ostsee geht, möchte ich mit Ihnen wieder einmal eine Bildbetrachtung machen. Und zum Wasser der Ostsee passt natürlich das Bild. Aber nicht deshalb habe ich es ausgesucht. Aber vielleicht steht bei Ihnen ja auch bald Urlaub an oder Sie sind schon mittendrin.
Sie erinnern sich noch, wie man einen Bildbetrachtung macht? Die erste Frage geht dabei nicht auf die Deutung und Bedeutung eines Bildes mit den Worten: „Was soll das sein?“ oder „Was soll das?“, sondern die erste Frage ist dabei immer: Was sehe ich? Was nehme ich wahr? Um mir das bewusst zu machen, ist es hilfreich zu benennen, was ich sehe.
Also was sehe ich? Ich sehe einen goldgelben Fisch. Im Zentrum des Bildes. Schwanz und Flossen sind hellrot. Ebenso das große Auge. Man kann so etwas wie Schuppen sehen und Muster an den Kiemen. Auch Barteln hat der Goldfisch im Bereich des Maules. Er ist umgeben von tief dunkelblauem, fast schwarzem Wasser. Das lässt das Goldgelb noch mehr erstrahlen. In einem helleren Blau sind Wasserpflanzen und Wellenbewegungen gemalt. Diese Wellenbewegungen haben auch etwas von Schriftzeichen. So kann man auch andere Zeichen erkennen, die Pflanzen oder X-Zeichen sein können. Eher in den Ecken und vom Goldfisch wegstrebend sehe ich rötliche kleinere Fische verschiedener Art. Mal eher rund, mal eher schmal. Ein Fisch ist auch eher violett und einer bräunlich. Sie sehen aus wie in Bewegung, während der Goldfisch zu stehen scheint, in majestätischer Ruhe.
Mit der Beschreibung „majestätisch“ bin ich schon in den Bereich der Deutung geraten über das bloße Wahrnehmen hinaus. Dass das Bild nämlich mehr ist und sein will als das Abmalen eines Goldfisches, wie wir ihn gewöhnlich kennen, das ist völlig klar. Dafür unterscheidet sich der Goldfisch von Paul Klee vom Goldfisch, wie ich jeder schon gesehen hat, viel zu stark. Und das nicht nur in der äußeren Gestalt.
Unser Goldfisch ist viel länger und schmaler und trägt Barteln, anders als ein gewöhnlicher Goldfisch. Unser Goldfisch ist auch richtig golden. Ein gewöhnlicher eher rötlich und gleichfarbig. Aber das Majestätische kommt nicht nur in Gestalt und Farbe zum Ausdruck, mehr noch durch die Stellung im Raum und durch die Farbzusammenstellung, durch das Leuchten auf dem dunklen Hintergrund und die zentrale Stellung. Das Ausweichen all der anderen Fische. Das macht das Majestätische oder Königliche des Goldfisches aus. Da hat Paul Klee den Ausdruck Goldfisch ganz wörtlich genommen.
Paul Klee war ein humorvoller Mann und ein gläubiger Mensch, das kommt in vielen seiner Bilder zum Ausdruck. Auch der Goldfisch hat nichts Strenges trotz seiner Majestät. Gerade die Barteln verleihen dem Goldfisch auch etwas Komisches wie ein Schnurrbart. Ich als Theologe denke natürlich sofort an die religiöse Bedeutung des Fisches als Symbol des christlichen Glaubens. Gleich von Anfang an war das griechische Wort für Fisch „ICHTHYS – ΙΧΘΥΣ“ Symbol für den Glauben an Jesus. Die Anfangsbuchstaben für folgende Worte ergeben diesen Begriff des Fisches: Jesus, Christus, Gott (Theos), Sohn (Hyios), Retter (Sotér).
Das passt auch zur Geschichte des frühen Christentums. Die ersten Jünger waren Fischer. Sie hatten täglich mit Fisch zu tun. Eines der größten Wunder Jesu ist die Vermehrung von fünf Broten und zwei Fischen in eine Mahlzeit, die über Fünftausend gesättigt hat und von der zwölf Körbe voll übrigblieben. Daher finden wir dieses Zeichen sehr früh schon. Sicher hat auch Paul Klee davon gewusst. Und meine These ist: Das steht bewusst oder unbewusst auch im Hintergrund des Goldfisches von Paul Klee. So sieht es ähnlich meine evangelische Kollegin Angelika Obert.
Was sehen Sie?
Viel Freude mit dem Goldfisch wünscht Ihnen
Thomas Gertler SJ
12. Juli 2023
Es liegt nahe, hier nun die tröstliche Geschichte von der Brotvermehrung nach Markus anzuhängen. Als Bild aber habe ich ein Relief aus dem 4 oder 6. Jahrhundert gefunden, das das Symbol des Ichthys aufgreift, vereindeutigt durch das Symbol des Kreuzes.

Foto: Trauenbaum, 2022 - CC BY-SA 4.0
Markus 6,34 - 44
6,34 Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange. 35 Gegen Abend kamen seine Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät. 36 Schick sie weg, damit sie in die umliegenden Gehöfte und Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können! 37 Er erwiderte: Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten zu ihm: Sollen wir weggehen, für zweihundert Denare Brot kaufen und es ihnen zu essen geben? 38 Er sagte zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Geht und seht nach! Sie sahen nach und berichteten: Fünf Brote und außerdem zwei Fische. 39 Dann befahl er ihnen, sie sollten sich in Mahlgemeinschaften im grünen Gras lagern. 40 Und sie ließen sich in Gruppen zu hundert und zu fünfzig nieder. 41 Darauf nahm er die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern, damit sie diese an die Leute austeilten. Auch die zwei Fische ließ er unter allen verteilen. 42 Und alle aßen und wurden satt. 43 Und sie hoben Brocken auf, zwölf Körbe voll, und Reste von den Fischen. 44 Es waren fünftausend Männer, die von den Broten gegessen hatten.