
Foto: Henry Mühlpfordt - CC BY-SA 3.0
Schon vor Monaten hatte mir eine gute Freundin von dem Buch über Jehuda Bacon erzählt und von dem „göttlichen Funken“ in jedem Menschen. Darüber haben wir uns dann eine ganze Weile unterhalten. Und jetzt habe ich dieses Buch geschenkt bekommen, wunderbar: Jehuda Bacon/Manfred Lütz: „Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden“ Leben nach Auschwitz, Güterloher Verlagshaus 2016. Es ist sehr berührend.
Jehuda Bacon hatte als kleiner Junge, bevor er ins KZ kam, von seinem Lehrer Jacob Wurzel gewissermaßen als Vermächtnis und Abschiedsgeschenk folgenden Satz mit auf den Weg bekommen: „Kinder, in jedem ist ein Funke Gottes und mit der Zeit wird er zur Flamme und dann werdet ihr ganz von Gott erfüllt sein.“ Und die Aufgabe eines jeden besteht darin, diesen Funken zur Flamme werden zu lassen.
Wenn jemand diesen Glauben an den göttlichen Funken im Menschen besitzt, dann wird er auch in jedem Menschen diesen Funken vermuten und suchen, bewusst oder unbewusst. Und so begegnet er einem jeden Menschen mit so einem Glauben und so einem Vertrauen. Und das ist etwas ganz anderes, als wenn wir einem jeden Menschen mit einem grundsätzlichen Misstrauen und Verdacht begegnen, dass in ihm das Böse, Finstere und Unberechenbare wohnt. Das eine ist ja so berechtigt wie das andere. Denn beides ist in uns da. Der Funke und das Dunkle.
Aber die Folgen sind sehr verschieden, je nachdem was im anderen sehe. Wenn ich dem anderen in einem solchen Vertrauen auf das Gute den Menschen begegne, dann gibt das dem Funken Nahrung und er kann aufstrahlen. Wenn ich mit Misstrauen dem anderen begegne, ist der Funke in Gefahr zu erlöschen.
Jehuda Bacon erzählt von einem SS-Mann, der gefürchtet war wegen seiner unberechenbaren Gewalttätigkeit. Er ruft eines Tages zehn Häftlinge zusammen in einen Raum in der Nähe des elektrischen Zauns. Sie folgen voller Angst. Dort aber schneidet er überraschend eine Salami in zehn Stücke, gibt jedem eines und sagt: „Haut ab!“. Jehuda sagte dazu: „In jedem Menschen ist dieser göttliche Funke, auch in einem solchen Verbrecher. Plötzlich ist er da gewesen.“ Und er erlebt Ähnliches auch bei einer SS-Frau.
Ich selbst habe das auch schon oft erlebt, dass überraschend der Funke aufleuchtet. Am nachdrücklichsten war das im Gefängnis. In der DDR-Zeit war ich Studentenpfarrer in Leipzig und einer unserer Studenten saß in Haft. Mit einer speziellen Erlaubnis des Staatsanwaltes konnte ich ihn besuchen. Beim Besuch war es verboten, darüber zu sprechen, wie es in der Haft ging. Aber wir haben zusammen gebetet, ja, und da konnte man es im Gebet doch ausdrücken. Nach dem Besuch kam der Beamte, der die ganze Zeit mit dabei gesessen hatte, zu mir und sagte: „Herr Gertler, wenn Sie den Häftling wieder besuchen wollen, rufen Sie bitte diese Nummer an. Sie können jederzeit kommen und müssen nicht erst zum Staatsanwalt.“
Das habe ich damals so empfunden, dass er wie ein Engel mitten in der Hölle war. Das war sehr mutig von dem Beamten, denn es hätte ihn selbst ins Gefängnis bringen können. Aber das gemeinsame Gebet hat ihn wohl auch berührt und den Funken zum Leuchten gebracht. Ich habe öfter von seiner Telefonnummer Gebrauch gemacht. Ja, einmal sogar rief mich der Beamte an und sagte, dass ich kommen soll, weil es meinem jungen Mann sehr schlecht ginge. Wenn das nicht ein göttlicher Funke war!
Aber diese Erfahrung des göttlichen Funken muss gar nicht so ungewöhnlich und spektakulär sein wie damals im Gefängnis. Ich denke, Sie haben das selbst auch schon erfahren, dass er aufleuchtete: im anderen oder in Ihnen. Es ist ja wirklich ganz alltäglich und spricht sich in dem alten Sprichwort aus: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“
Und wem gebe ich täglich Nahrung? Dem göttlichen Funken oder der Finsternis?
Ostern hat das Licht über die Finsternis gesiegt. Wir dürfen dem Licht vertrauen.
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
26. April 2017
Gott selbst geht so mit uns um, dass er diesen Funken nicht auslöscht, sondern ihm Nahrung gibt, dass er nicht erlischt, sondern wieder zum Strahlen kommt. Dass er das geknickte Schilfrohr nicht endgültig zerbricht, sondern sich wieder aufrichten und wachsen lässt. Das schreibt so schön der Prophet Jesaja in seinem ersten so genannten Gottesknechtslied im 42. Kapitel.

Schilfrohr
Foto: Rasbak - CC BY-SA 3.0
Jes 42, 1 - 7
42,1 Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; / das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, / er bringt den Völkern das Recht. 2 Er schreit nicht und lärmt nicht / und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. 3 Das geknickte Rohr zerbricht er nicht / und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; / ja, er bringt wirklich das Recht. 4 Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, / bis er auf der Erde das Recht begründet hat. / Auf sein Gesetz warten die Inseln. 5 So spricht Gott, der Herr, / der den Himmel erschaffen und ausgespannt hat, / der die Erde gemacht hat und alles, was auf ihr wächst, der den Menschen auf der Erde den Atem verleiht / und allen, die auf ihr leben, den Geist: 6 Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, / ich fasse dich an der Hand. Ich habe dich geschaffen und dazu bestimmt, / der Bund für mein Volk / und das Licht für die Völker zu sein: 7 blinde Augen zu öffnen, / Gefangene aus dem Kerker zu holen und alle, die im Dunkel sitzen, / aus ihrer Haft zu befreien.