Wilhelm Busch, der humorvolle Pessimist, hat diesen Vers geschrieben und mich hat er immer schon gestört und zum Widerspruch gereizt. Denn - ganz typisch für Busch – er ist negativ. Das Gute aber ist doch das Positive. Es ist das Positive schlechthin. Dadurch, dass ich das Böse lasse, habe ich doch noch nichts Gutes und Positives getan. Oder? Nun habe ich aber bei einem Konkurrenten ( 🙂 ) von „update-seele“, bei Herrn Rolf Dobelli und seiner „Kunst des guten Lebens“ einen Zugang gefunden. Und jetzt hört sich der Vers für mich anders an.
Dobelli schreibt da ein Kapitel oder einen Impuls über „Die negative Kunst des guten Lebens“ und sagt darin, dass es für ein glückliches und geglücktes Leben leichter sei, das sicher Falsche zu meiden, als sicher das Richtige zu tun. Es gibt etliche konkrete Wege, die sicher ins Unglück führen und leicht zu erkennen sind. Die gilt es zu meiden und zu lassen. Und da behandelt Dobelli das Verhalten in der Wirtschaft und an der Börse. Und er zitiert Warren Buffet, den Börsenmogul: „Wir haben nicht gelernt, schwierige Probleme im Geschäftsleben zu lösen. Wir haben gelernt, sie zu vermeiden.“
Und das gilt ja genauso im persönlichen Leben. Vermeiden und Unterlassen ist leichter als das positive Tun. Unbedingt zu meiden: zu viel Alkohol, Drogen, zu viel Essen, zu viel Stress und Arbeit, alles „zu viel“. Sicher zu meiden ist aber auch das „zu wenig“: zu wenig Schlaf, zu wenig Bewegung, zu wenig Freude, zu wenig an Beziehung und Gespräch. Vielleicht haben Sie auch noch einiges, was Sie auf die Liste setzen wollen an zu viel oder zu wenig.
Und wenn wir auf den guten Wilhelm Busch schauen, da sehen wir auch, dass er so manches hätte lassen sollen und er hätte ein besseres Leben geführt. Mehr als einmal hat er eine Nikotinvergiftung gehabt und seine Pfeife war sein ständiger Begleiter, aber auch die negativen Wirkungen des Alkohols sind in seinen Geschichten ja gut nacherlebbar, nicht nur wie hier bei Hans Huckebein, dem Unglücksraben.
Durch Busch und bei Dobelli ist mir erst wieder bewusst geworden, dass auch die Zehn Gebote hauptsächlich zur Negativkunst gehören. Sie gebieten uns zum größten Teil nur das, was wir gefälligst lassen sollten: Magie und Fluchen, Mord und Diebstahl, Ehebruch und Meineid, Neid und Gier. Wenn wir alles das sein lassen, dann führen wir ein gutes Leben, ein gesegnetes Leben. Das sagt die Bibel. Das Gute – dieser Satz steht fest –, ist stets das Böse, das man lässt.
Für mich ganz erstaunlich war, dass Dobelli sogar die Theologie ins Feld führt, nämlich die schon seit Platon († 348/347 v. Chr.) bekannte so genannte negative Theologie. Sie meint nämlich, es sei leichter zu sagen, was Gott nicht ist, als zu sagen, was Gott ist, weil Gott all unserem menschlichen Denken so unendlich überlegen ist. Oder wie ein späterer Grundsatz (4. Laterankonzil 1215) in der Theologie sagt, die Unähnlichkeit unserer Begriffe von Gott ist immer viel größer als die Ähnlichkeit unserer Begriffe oder besser unserer Aussagen über Gott. Denn Begriffe im Sinne von Begreifen, Fassen, Umfassen und Beherrschen sind Gott gegenüber sowieso ganz und gar unangemessen.
Und das Gleiche gilt auch vom Menschen, dem Mitmenschen und besonders dem nahen Lebensmenschen, dem Partner oder der Partnerin. Also gerade dem Menschen, den man am besten zu kennen meint, gerade dem gegenüber gilt: wenn ich meine, ihn oder sie endgültig verstanden und begriffen zu haben, dann ist die Beziehung meist auch am Ende. Das Geheimnis und das Unbegreifliche müssen bleiben, sonst bleibt nur: Du bist nichts weiter als ein … oder du bist nur eine … Und dann folgt meist ein hässliches Wort. Also nicht nur negative Theologie sondern auch negative Anthropologie ist in diesem Sinne nötig: „Du sollst dir kein Bildnis machen.“
Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, das man lässt.
Endgültig bin ich noch nicht zufrieden und da bleibt noch was offen mit Wilhelm Buschs Sentenz. Was denken Sie?
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
23. Juni 2021
Wenn man sich ein Bild anfertigt, das festlegt und endgültig begreift, sei es von Gott oder vom Menschen, kommt oft Rindvieh raus. Dafür ist die Geschichte vom Goldenen Kalb sprichwörtlich geworden. Natürlich ist viel dazu zu sagen und zu differenzieren und besser zu verstehen. So ist zum Beispiel schon das Wort „Kalb“ spöttisch gemeint. In Wirklichkeit handelte es sich natürlich um einen imposanten und gewaltigen Stier. Das versucht das Bild darzustellen.
Exodus 32,1 - 8
32,1 Als das Volk sah, dass Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm, mach uns Götter, die vor uns herziehen. Denn dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat - wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist. 2 Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her! 3 Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu Aaron. 4 Er nahm sie aus ihrer Hand. Und er bearbeitete sie mit einem Werkzeug und machte daraus ein gegossenes Kalb. Da sagten sie: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben. 5 Als Aaron das sah, baute er vor ihm einen Altar und rief aus: Morgen ist ein Fest für den HERRN. 6 Früh am Morgen standen sie auf, brachten Brandopfer dar und führten Tiere für das Heilsopfer herbei. Das Volk setzte sich zum Essen und Trinken und stand auf, um sich zu vergnügen. 7 Da sprach der HERR zu Mose: Geh, steig hinunter, denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, läuft ins Verderben. 8 Schnell sind sie von dem Weg abgewichen, den ich ihnen vorgeschrieben habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht, sich vor ihm niedergeworfen und ihm Opfer geschlachtet, wobei sie sagten: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.