Ich kenne es schon aus meiner Jugend. Da gab es im Benno-Verlag der DDR eine Postkarten-Serie mit christlichen Gestalten und dabei war auch dieses Bild von Charles de Foucauld (1858-1916). Es hat mich schon damals tief berührt als das Gesicht eines Heiligen, obwohl er damals noch gar nicht selig- oder heiliggesprochen war. Das wurde er jetzt am Sonntag, dem 15. Mai 2022. Und was ich in diesem Foto von Anfang an gesehen habe, das sind die Liebe und der Schmerz. Lassen Sie dieses Bild auf sich wirken! Darauf schaut er Ihnen voll Liebe in die Augen und im Hintergrund spüren Sie zugleich den Schmerz. Beides zusammen.
Das Bild stammt wohl aus dem Jahr 1907. Da lebte er schon als Einsiedler in der Wüste. Aber der Reihe nach. Charles de Foucauld – aus einer sehr reichen französischen Adelsfamilie – hat seine Eltern früh verloren, schon als er sechs Jahre war. Der Vater starb an Tuberkulose, die Mutter im Kindbett. Er wuchs dann mit seiner Schwester beim Großvater auf. Aber er war ein Tunichtgut durch und durch (vielleicht wegen dieser schweren Erfahrungen). Er flog wegen Faulheit und Frechheit aus mehreren Schulen. Selbst aus dem Militärdienst wurde er darum entlassen. Er war ein totaler Lebemensch und gab sein riesiges Vermögen mit vollen Händen aus, so dass seine Familie ihn am 12. Juni 1882 gerichtlich hat entmündigen lassen. Sie machte diese Anordnung erst im Januar 1889 wieder rückgängig. Aber alle diese wilden Feste hinterließen in ihm einen schalen Geschmack.
Schon als Soldat war er nach Algerien, damals französische Kolonie, gelangt. Dort interessierte er sich für den Islam und das Judentum. Er lernte sogar Hebräisch und machte 1883 zusammen mit einem jüdischen Rabbi unerkannt eine Forschungsreise in das für Christen verbotene Marokko. Der Bericht über diese Reise und die Forschungsergebnisse über das Atlasgebirge machten ihn berühmt. Damals hatte ihn auch die Frömmigkeit der Muslime tief beeindruckt, die sich fünf Mal am Tage im Gebet vor Gott niederwarfen.
Er, der mit 15 seinen Glauben verloren hatte, beginnt nun mit 28 Jahren wieder zu beten: Mein Gott, wenn es dich gibt, lass mich dich erkennen. Mit dem Priester Abbé Henri Huvelin von der Kirche Saint-Augustin in Paris will er über den Glauben diskutieren. Doch der nimmt ihn einfach in den Beichtstuhl mit und lässt ihn eine Lebensbeichte ablegen und reicht ihm die Kommunion. Diese Berührung mit der barmherzigen Liebe Christi ist wichtiger als die Diskussion und führt zu einem radikalen Wandel. Charles wird wieder Christ und will ganz und gar Christus nachfolgen.
Er geht darum 1890 in den strengsten Orden, den er kennt, zu den Trappisten. Aber auch dieses Leben ist ihm noch zu abgesichert und nicht nah genug bei den Armen. Also verdingte er sich 1897 als einfacher Hausarbeiter bei den Armen Klarissen in Nazareth. Er will das verborgene Leben Jesu nachahmen. Er will einfach durch sein Leben Christus gegenwärtig werden lassen unter den Armen. Das ist etwas Neues. Das hatte vorher noch niemand für sich als Ruf zur Nachfolge entdeckt und dieses verborgene Leben Jesu gelebt, von dem wir ja nur wenig wissen, außer dass Jesus vermutlich wie sein Vater Bautischler war und ein frommer Jude seiner Zeit.
Charles wird dann mit 43 Jahren noch Priester und zieht nach Algerien, nach Tamanrasset und baut sich dort eine Einsiedelei. Nein, eigentlich sollte es keine Einsiedelei sein, denn er wollte dort mit anderen leben. Aber niemand schloss sich ihm an. Aus dieser Zeit stammt wohl das Foto. Er wollte nun der Bruder aller Menschen werden. Er wird gut Freund mit den Wüstennomaden der Tuareg. Über deren Sprache verfasst er ein Wörterbuch von 2000 Seiten und sammelt ihre Gedichte und Überlieferungen.
Er wird im Jahr 1916 im Gefolge des 1. Weltkrieges, der auch nach Algier und in die Wüste kommt, eher aus Versehen erschossen und neben seiner Einsiedelei begraben.
Erst 20 Jahre später beginnen Männer und Frauen als Kleine Brüder und Schwestern seinem Ideal des verborgenen Lebens Jesu nachzufolgen und leben heute überall auf der Welt.
In Deutschland ist sicher der bekannteste von diesen Kleinen Brüdern Jesu Andreas Knapp, der in Leipzig lebt und viele Gedichte geschrieben hat… auch mehrere über Charles de Foucauld. So auch das unten angefügte. Und damit sind wir wieder bei dem Foto von oben. Alles, was das Gedicht sagt, sieht man auch in seinem Gesicht. Und darin begegnen mir die Liebe und der Schmerz Jesu.
Es grüßt sie herzlich
Thomas Gertler SJ
18. Mai 2022
Das Bild ist ein Blick auf die Berge in der Wüste des Nationalparks Ahaggar bei Tamanrasset, wo Charles de Foucauld gelebt hat.

Foto: Sultanessma - CC BY-SA 4.0
gescheitert
du gehst aufs Ganze
aber wohin
so viele Reisen
und kein ankommen
Pläne und Projekte
in den Sand gesetzt
du baust ein Wüstenkloster
und keiner geht hin
Ideale und Träume
verwehen wie Flugsand
deren Bruder du geworden bist
verraten und ermorden dich
das Evangelium wolltest du leben
sterbend bist du selber eines geworden
denn in deinem Zerbrechen leuchtet
der Glanz des gebrochenen Brotes
aus: Brennender als Feuer. Geistliche Gedichte von Andreas Knapp, Echter-Verlag 2004, 88.