Danke Lothar!

Foto: Gesine Nissen

 

Noch vor drei Wochen saß Lothar beim Mittagessen im „Daddeldu“.  Während ich im Urlaub war, ist er gestorben.  Eine Kerze und ein Trauerspruch erinnern uns an seinen Tod, ansonsten läuft in der Obdachlosenhilfe alles so weiter wie bisher. Die Bewohner müssen versorgt  und alltägliche Probleme bewältigt werden.  Im Grunde hat sich nichts großartig verändert. Wir wissen, dass Lothar gestorben ist, aber er gehört ja doch noch zu uns. Nur, dass er eben nicht wieder durch diese Tür hineinkommen wird. Das ist jetzt endgültig so.

Ich kannte ihn nicht sehr gut, aber ich habe ihn als stillen, freundlichen Menschen in Erinnerung. Oft sah ich ihn beim Frühstück mit seiner Freundin Manu im Cafe. Er hat schrecklich viel geraucht. Claudia hat mir verraten, dass er das Kuchenessen beim Bäcker liebte und, dass er gern „Mensch ärgere Dich nicht!“ gespielt hat. Für Manu hat er wohl auch oft sein letztes Geld ausgegeben, um ihr eine Freude zu machen.

Was er wirklich über das Leben dachte, was ihn berührte oder wovor er sich fürchtete, haben wir nie so richtig erfahren, ebenso, was ihm alles so während seines  Lebens passiert ist. Es bleibt letztlich ein Geheimnis und darf es auch sein.  Seine Freundlichkeit ist das, was er uns wie ein Geschenk zurücklässt. Dafür sollten wir dankbar sein.

Man sagt, dass wir das Thema Tod zu wenig  thematisieren. Ich glaube, dass wir zu wenig über die Fragen des Lebens, unsere konkreten Erfahrungen und Hoffnungen sprechen, besonders in Bezug auf unsere eigene Endlichkeit und Begrenztheit, all das Ungelöste , das Leid, aber auch die erlösende Kraft der Liebe.

Was sind unsere Antriebe, unsere tiefsten Wünsche und Enttäuschungen, was berührt uns und für was würden oder sollten wir kämpfen? Wonach haben wir denn wirklich tiefste Sehnsucht? Was macht uns Angst? Was ist denn der Sinn unseres Daseins, besonders auch meines konkreten Lebens? Gibt es ihn überhaupt? Ist schon alles gelaufen? Was ist mit dem Leid und allem Ungerechten? Gibt es eine Hoffnung auf letzte Gerechtigkeit? Wofür habe ich persönlich Verantwortung? Was ist schon alles gut gegangen und gelungen in meinem Leben und wofür bin ich dankbar? Was macht mir Freude?

Diese Fragen beschäftigen die Menschen seit Urzeiten. Alles zutiefst menschliche Fragen und es braucht Mut, sie zu stellen - denn wenn ich mich wirklich mit der eigenen Endlichkeit und meinen Fragen auseinandersetze, könnte das mein Leben komplett auf den Kopf stellen.

Es grüßt Sie herzlich
Gesine Nissen

28. Oktober 2020

Gesine Nissen arbeitet ehrenamtlich für die Obdachlosenhilfe e.V. in Rostock. Diesen Text hat sie im Rahmen dieser Tätigkeit geschrieben. Er war für die Mitarbeiter und Bewohner der Obdachlosenunterkunft und der Tagespflege „Daddeldu“ gedacht.

Der heilige Benedikt schreibt folgendes im Prolog zu seiner Ordensregel, das kann auch für uns gelten: nämlich jetzt, solange wir noch unter den Lebenden weilen, den wesentlichen Frage unseres Lebens und unseres Sterbens nachzugehen und nach Antworten zu suchen und mit anderen das Gespräch zu suchen über das Wesentliche, nicht über das Nebensächliche.

Foto: Richard Huber - CC BY-SA 3.0

 

Aus dem Prolog der Ordensregeln des Hl. Benedict:

  1. Stehen wir also endlich einmal auf! Die Schrift rüttelt uns wach und ruft: "Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen." (Röm 13,11)
  2. Öffnen wir unsere Augen dem göttlichen Licht, und hören wir mit aufgeschrecktem Ohr, wozu uns die Stimme Gottes täglich mahnt und aufruft.
  3. "Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!"
  4. Und wiederum: "Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist der Gemeinden sagt!"
  5. Und was sagt er? "Kommt ihr Söhne, hört auf mich! Die Furcht des Herrn will ich euch lehren".
  6. "Lauft, solange ihr das Licht des Lebens habt, damit die Schatten des Todes euch nicht überwältigen."
  7. Und der Herr sucht in der Volksmenge, der er dies zuruft, einen Arbeiter für sich und sagt wieder:
  8. "Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?"