Wenn ich aus der Stadt ins Grüne hinausfahre, komme ich durch ein Wohnviertel mit meterhohen Grundstücksmauern, blickdichten hohen Hecken und Toren. Wer wohl dahinter wohnt? Wie’s dahinter wohl aussieht und wie die wohl leben? Ich erinnere mich an die Sinus-Milieu-Studie, die um die Jahrtausendwende in aller Munde war und die solche Straßenbilder dem Sozialmilieu der „Konservativ-Etablierten“ zuordnet. Vielleicht liegt es an meiner Herkunft aus ländlichem Kleinstadtmilieu, dass mich diese hohen Mauern, Hecken und Türen neugierig machen. Ja, da würd‘ ich schon mal gern dahinter schauen.
Die Frage nach dem „Dahinter“ hat in den Texten und Gedichten der Benediktinerin Silja Walter (+ 2011) eine elementare Bedeutung. In ihrem lebenslangen (Gott-)Suchen, die längste Zeit davon im Kloster Fahr/Schweiz, ahnt, spürt, erhofft, glaubt die schreibende Ordensfrau in diesem „Dahinter“ die Liebe und das Werben Gottes: „Hinter den Wäschekörben und Antiphonarien und hinter der Dogmatik, dahinter, da ist etwas, hinter den Prozessionen durch den geweißelten Kreuzgang und hinter dem Ganzen dahinter.“
Wer möchte nicht „hinter dem Ganzen dahinter“, gerade hinter den profanen oder gar lästigen Dingen des Alltags die Gegenwart unseres liebenden Gottes spüren? Oder wie Ignatius von Loyola die Erfahrung machen, dass sich „Gott in allen Dingen suchen und finden“ lässt, „durch seine Gegenwart, durch sein Wirken und sein Wesen“? Wer möchte nicht hinter so vielem Vordergründigen Gottes Absicht erkennen und mehr verstehen lernen?
Vielleicht verlockt es Sie, einmal eine Art persönliche „Milieu-Studie“ vorzunehmen? Das Wort Milieu kommt aus dem Französischen und bedeutet Mitte: Welche Werte und Themen stehen bei mir gerade im Mittelpunkt? Ist es stimmig in mir? - Was beschäftigt meinen Kopf, bewegt meine Seele? Wo möchte ich Vordergründiges mehr hinter-fragen? - Wo möchte ich Gott (mehr) einlassen? – Versuchen Sie, über Ihre Entdeckungen mit Gott ins Gespräch zu kommen.

Foto: MabelAmber via pixabay.com
Das Mehr (magis) dahinter
An einer zentralen Stelle seiner Geistlichen Übungen mutet Ignatius dem Exerzitanten bzw. dem gläubigen Menschen zu, „Gesundheit nicht mehr als Krankheit (zu) begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes“ (GÜ 23, Prinzip und Fundament). Denn alles hat in sich die Möglichkeit, in uns eine tiefere Antwort hervorzulocken für unser Leben in Gott (David L. Fleming SJ; s. unten). Alles? So soll der Mensch tatsächlich in allem und hinter allem nach dem fragen, was ihn mehr (magis) oder eher zum Ziel seines Lebens hinführt, nämlich, so Fleming, „dass Gottes Leben grenzenlos in uns hineinströmt“.
Das kann wahrlich ein hoher Anspruch sein, in allem, also nicht nur im Schönen und Leichten, sondern auch in Verlust, Erfolglosigkeit oder Bedrängnis nach dem „Mehr“ zu fragen. Das geht wohl nur mit dem entsprechenden Ziel vor Augen, nämlich sich vertrauensvoll von Gott locken zu lassen, damit er sein Leben in uns vertiefen kann.
Dahinter wartet Gott

Foto: Lothar Spurzem - CC BY-SA 2.0 DE
Bald kommt wieder die Zeit der beschlagenen Auto-, Zug- oder Küchenfenster. Vielleicht mögen Sie sich dann einmal an das Wort von Silja Walter erinnern: Dahinter, da ist etwas. Und vielleicht entzündet sich daran etwas Aktuelles aus Ihrem Alltag. Zum Beispiel: Wo möchten Sie klarer sehen? Einen Sinn erkennen?
Bringen Sie dann das, was sich in Ihnen meldet, ins Gebet – vielleicht ein Gefühl, eine Sehnsucht, eine Freude, Angst oder Schmerz, Bitte oder Dank. Denn dahinter, da wartet immer ER!

Foto: Martin Manigatterer via Pfarrbriefservice.de
Ich wünsche Ihnen einen schönen
Herbstanfang mit vielen bunten
Farben und allzeit klarer Sicht!
Herzlich grüßt Sie
Marlies Fricke (GCL)
18. September 2019
Oft ist Gottes Güte verstellt und wir müssen erst dahinterkommen, warum er uns so und nicht anders führt. Aber wir dürfen auf das Fundament seiner Treue vertrauen und auf sein Ziel für uns: immer mehr mit ihm zu leben.

Fundament eines Hauses
Foto: Martin Manigatterer via Pfarrbriefservice.de
Prinzip und Fundament
Ignatius von Loyola, Exerzitienbuch / Geistliche Übungen Nr. 23, Übersetzung David L. Fleming SJ
Ziel unseres Lebens ist es, für immer mit Gott zu leben. Gott gab uns Leben, weil er uns liebt. Unsere eigene Antwort der Liebe ermöglicht es, dass Gottes Leben grenzenlos in uns hineinströmt.
Alle Dinge dieser Welt sind Geschenke Gottes, uns angeboten, damit wir ihn leichter erkennen und uns ihm bereitwilliger liebend zurückgeben.
Daraus folgt, dass wir alle diese Geschenke Gottes soweit schätzen und benutzen, als sie uns helfen, uns zu liebenden Menschen zu entwickeln. Aber wenn eine dieser Gaben Mittelpunkt unseres Lebens wird, ersetzt sie Gott und hindert unser Wachsen auf das Ziel hin. So müssen wir uns also im Alltagsleben angesichts all dieser geschaffenen Gaben im Gleichgewicht (indiferentes) halten, insofern wir noch frei wählen können und nicht durch Verpflichtung gebunden sind.
Wir sollen unser Verlangen nicht auf Gesundheit oder Krankheit fixieren, nicht auf Wohlstand oder Armut, Erfolg oder Versagen, ein langes Leben oder ein kurzes. Denn alles hat in sich die Möglichkeit, in uns eine tiefere Antwort hervorzulocken für unser Leben in Gott.
Unser einziges Verlangen und unsere einzige Wahl soll sein: Ich möchte und wähle, was eher (magis) dahin führt, dass Gott sein Leben in mir vertiefen kann.