Das ist das Imponierende am Evangelium bis heute, dass einem die große Freiheit Jesu begegnet, ja, geradezu entgegenschlägt. Seine Freiheit, sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen und sich den Verachteten wie zum Beispiel den Frauen und den Kindern zuzuwenden oder den Kollaborateuren wie den Zöllnern oder den Habenichtsen. Dass er sich traute, Leprakranke anzufassen. Dass er mit dem Bösen kämpfte und es davon jagte und Menschen befreite. Also seine Freiheit zu etwas, ganz positiv.
Aber auch seine Freiheit gegen etwas. Also dass er sich nicht scheute, in den Konflikt zu gehen. Mit den Pharisäern zu streiten, ob die Gerechtigkeit oder die barmherzige Liebe bei Gott entscheidender ist. Dass er den Mut hatte, mit den Priestern in Jerusalem über den Tempel und die Auferstehung von den Toten zu streiten. Dass er gegen die Messerstecher und Terroristen seiner Zeit, die so genannten Sikarier, Gewaltlosigkeit predigte. Schließlich dass er gegen die Sekten wie die Essener von Qumran, die sich zurückzogen und nur für sich Heiligkeit leben wollten, ganz bewusst Kontakt mit allen suchte.
Also diese Freiheit zum Engagement und zum Konflikt kennzeichnet Jesus und das imponiert. Das lockt mich auch. So frei möchte ich auch sein. Wo kommt sie her – diese Freiheit? Ist Jesus eben einfach so? Nein, seine Freiheit hat ihren Grund. Und das ist seine Entschiedenheit, ganz und gar den Willen Gottes zu leben und zu tun. Ganz und gar den Willen seines Vaters zu tun. Das ist, so sagt er, seine Speise (Joh 4,34). Davon lebt er. Das ist der Grund seiner Freiheit.
Diese Entschiedenheit für Gottes Weg und Gottes Willen macht ihn frei. Warum? Weil er daraus den Maßstab und die Richtung für sein Engagement gewinnt. Weil er daraus weiß, was er tun und lassen soll. Weil diese Entschiedenheit für Gott ganz und gar, alles andere zweitrangig macht. Allem anderen gegenüber ist er frei. Er muss nicht die eigene Karriere an die erste Stelle setzen. Er muss sich nicht den Konventionen und den politischen und religiösen Mächten unterordnen, wenn er Gottes Willen an die oberste Stelle setzt. Er ist frei all dem gegenüber. Und er ist frei, um sich denen zuzuwenden, die Gottes Liebe brauchen.
Wir können es auch anders sagen: Jesus ist der Mensch, der ganz und gar das Hauptgebot erfüllte und lebte, nämlich Gott zu lieben aus allen seinen Kräften (Dtn 6,5) und darum auch den Nächsten wie sich selbst (Lev 19,18). Jesus selbst hat in diesen beiden Geboten die Zusammenfassung des göttlichen Gesetzes gesehen (Mk 12,28-31). Und er hat diese beiden Gebote verwirklicht mit aller Entschiedenheit. Daraus erwächst seine Freiheit. Darum weiß er, was er tun soll und was er lassen soll. Daraus kann er auch bei anderen erkennen, wo sie stehen und worum es ihnen geht.
Der heilige Augustinus wird das dann in die Formel fassen: Liebe und tu, was du willst. Damit sind wir auch schon dabei, woher wir als Christen dann unsere Freiheit gewinnen. Aus der gleichen Quelle wie Jesus. Aus der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Und wie finde ich zu dieser Liebe? Indem ich Liebe Gottes zu mir und zu uns entdecke. Indem ich von Gott selbst die Liebe lerne. So wie Jesus. Er sah und erfuhr die große Liebe Gottes zu uns in den alltäglichsten Dingen: in der Sonne und im Regen. In der Luft, die wir atmen. In all dem kommt ständig Gottes Liebe zu uns. So wie Jesus möchte ich auch meine Tage leben: in allem ganz Gewöhnlichen Gottes Liebe erkennen und einatmen. Mich von dieser Sonne bescheinen lassen und von diesem Regen erfrischen lassen (vgl. Mt 5,43-48).
Das müssen wir üben. Täglich üben und wahrnehmen und in uns einlassen. Bei Ignatius gibt es darum die Übung, um die Liebe zu erlangen. Die hänge ich Ihnen an. Versuchen Sie diese Übung zu machen. Sie hilft, die Liebe zu erkennen und anzuerkennen und selbst ein liebevoller Mensch zu werden und daraus die große Freiheit zu erlangen.
Lassen Sie diese Übung wirken!
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
3. Juli 2019
Die Betrachtung zur Erlangung der Liebe steht im Exerzitienbuch des hl. Ignatius von Loyola als letzte Übung überhaupt. Die Exerzitien oder geistlichen Übungen laufen darauf hin. Denn darauf kommt es an: ein liebender Mensch zu werden und darin die christliche Freiheit zu finden.
(230) Betrachtung zur Erlangung der Liebe
Zuerst ziemt es sich, auf zwei Dinge zu achten.
Das erste ist, dass die Liebe mehr in die Werke gelegt werden muss als in die Worte. (231) Das zweite: Die Liebe besteht in der Mitteilung von beiden Teilen her; das will heißen, dass der Liebende dem Geliebten gibt und mitteilt, was er hat, oder von dem, was er hat oder kann, und als Gegenstück dazu der Geliebte dem Liebenden, derart, dass wenn der eine Wissen oder Ehren oder Reichtümer besitzt, er es dem gibt, der es nicht hat, und so teilt immer einer dem andern mit. Das [Vorbereitungs-]gebet ist das gewohnte.
(232) Die erste Einstellung ist die Zurichtung. Hier sehen, wie ich stehe vor Gott Unserm Herrn, vor seinen Engeln, vor den Heiligen, die für mich eintreten.
(233) Die zweite: Bitten um was ich begehre. Hier bitten um innere Erkenntnis der so großen empfangenen Wohltaten, dazu hin, dass ich in ganz dankbarem Anerkennen in allem Seine Göttliche Majestät lieben und Ihr dienen könne.
(234) Der erste Punk ist: Ins Gedächtnis rufen die empfangenen Wohltaten der Schöpfung, der Erlösung und der besonderen Gaben, indem ich mit großer Hingebung wäge, wie Großes Gott Unser Herr für mich getan und wie viel Er mir von dem gegeben hat, was Er besitzt, und folgerichtig, wie sehr derselbe Herr danach verlangt, Sich selbst mir zu geben, soweit Er es nur vermag gemäß Seiner Göttlichen Herablassung. Und dann zurückbesinnen auf mich selbst und mit viel Begründung und Gerechtigkeit erwägen, was ich von meiner Seite schuldigerweise darbieten und geben muss Seiner Göttlichen Majestät, nämlich alles, was ich habe, und mich selber damit, so wie einer, der mit großer Hingabe darbietet:
Nimm Dir, Herr, und übernimm meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, mein ganzes Haben und Besitzen. Du hast es mir gegeben, zu Dir, Herr, wende ich es zurück; das Gesamte ist Dein; verfüge nach Deinem ganzen Willen, gib mir Deine Liebe und Gnade, das ist mir genug.
(235) Der Zweite: Erwägen, wie Gott in den Geschöpfen wohnt, in den Elementen Dasein, in den Pflanzen wachsendes Leben, in den Tieren sinnliches Fühlen, in den Menschen geistige Einsicht verleihend. Und so auch in mir: wie Er mir Dasein gibt, mich durchseelt, mir Sinne erweckt und geistige Einsicht verleiht, wie Er desgleichen einen Tempel aus mir macht, da ich zu einem Gleichnis und Bild Seiner Göttlichen Majestät geschaffen bin. Und abermals zurück besinnen auf mich selbst, in der Art, wie im ersten Punkt gesagt ist, oder auf eine andere, wenn ich diese als die bessere spüre. Und auf dieselbe Weise geschehe bei jedem folgenden Punkte.
(236) Der Dritte: Erwägen, wie Gott sich anstrengt und müht um meinetwillen in allen geschaffenen Dingen auf der Welt, das heißt, Er verhält Sich wie einer, der mühselige Arbeit verrichtet. So in den Himmeln, Elementen, Pflanzen, Früchten, Herden usf., indem er das Dasein gibt und erhält, Wachstum und sinnliches Leben verleiht usf. Dann zurück besinnen auf mich selbst.
(237) Der Vierte: Schauen, wie alles Gut und alle Gabe absteigt von oben, so wie auch meine beschränkte Kraft von der höchsten und unendlichen oben herab; und so auch [unsere] Gerechtigkeit, Güte, Frömmigkeit, Barmherzigkeit usf., wie von der Sonne absteigen die Strahlen, vom Quell die Wasser usf. Dann zum Ende zurück besinnen auf mich selbst in der gesagten Weise.
Schließen mit einer Aussprache und einem Vater Unser.