
Foto: Thomas Gertler
Fast täglich gehe ich durch den Göttinger Rosengarten. Die ganze Juni-Zeit war voller Blüten. Jetzt geht die blütenvolle Zeit schon wieder dem Ende zu – allerdings nicht im Rosengarten! Es ist für viele die schönste Zeit des Jahres. Solch eine Pracht, solch eine Schönheit, solch eine Fülle, solch eine Vielfalt. So ein Streben nach der Sonne und solch ein Ausstrecken und Sehnen nach der Sonne. So ein Wille, sich zu zeigen und durch Duft und Farben und Uhrzeit die Bienen, die Hummeln, die Wespen und so viele andere Insekten anzulocken, damit sie ihr Werk des Bestäubens vollbringen. Jede einzelne Blüte bei den Rosen ist ein Wunder. Aber auch die vielen anderen blühenden Blumen. Sie alle erzählen von Gottes Schönheit und Seiner unerschöpflicher Phantasie: „Selbst Salomo in all seiner Pracht, war nicht gekleidet wie eine von ihnen!“, so hat es schon Jesus gesehen (Lk 12,27).

Foto: Thomas Gertler
Bei uns in Europa sind ja Zeiten mit blühenden Blumen, blühenden Bäumen und Pflanzen ziemlich lang. Es fängt im Februar/März mit Schneeglöckchen und Märzenbechern an und geht bis in den späten Herbst, ja bis zum ersten Frost mit den Astern. In anderen Ländern ist diese Zeit des Blühens nur ganz kurz und heftig. Das gilt für die heißen wüstengeprägten Länder wie Israel, aber auch die kalten Nordländer, wo dann die Sonne fast 24 Stunden scheint. Beide Male eine kurze und intensive Zeit. Und von der Erfahrung in Israel ist auch die Bibel und ihr Bild vom Blühen und Vergehen gekennzeichnet. „Wie das Gras, das heute blüht und morgen ins Feuer geworfen wird“ (Mt 6,30). Eine kurze, sehr kurze Zeit.

Foto: Hanson59 - CC BY-SA 3.0
Sofort kommt uns der Vergleich mit unserer eigenen Blütezeit in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter. So schnell und schon ist man dreißig. Und obwohl wir gern von der süßen Siebzehn sprechen, so ist das häufig eine schwierige und problemgeladene Zeit. Ich weiß noch, wie mal meine Mutter sagte: „Ach, wie bin ich froh, nicht mehr blöde Siebzehn zu sein.“ Ja, selber siebzehn zu sein, ist teilweise nicht so schön, wie als Vierzig- oder Fünfzigjähriger charmante und anmutige Siebzehnjährige anzusehen und zu beobachten. Aber Eltern mit Kindern in diesem Alter wissen auch ein Lied von der Konflikthaltigkeit dieser Jahre zu singen. Oh, wie gern knallt es da heftig.
Aber Krise ist auch immer Chance. Jugendjahre sind oft geniale Jahre. Kreativität geht fast von selbst. Wie beeindruckbar und formbar sind wir in diesen Jahren. Hermann Hesse war mit Siebzehn einer meiner liebsten Autoren. Aber wie haben mich auch die Dramen von Kleist über Shakespeare bis Zuckmayer angepackt. Prägungen auch im Glaubensleben geschehen oft da. Begeisterung und Radikalität. Bereitschaft, sich ganz und gar einzusetzen wie jetzt für „Fridays for future!“ Enttäuschung und Wut auf die so langweiligen und abgeklärten Alten, die nie mal richtig ernst machen. Blütezeit – wunderbar und viel zu kurz, hoch empfindlich und verletzlich, fruchtbar und so ahnungslos.

Foto: Thomas Gertler
Und der Sinn des Blühens, auch im geistlichen Leben, ist eben nicht die Blüte an sich, sondern die Frucht und die Weitergabe des Lebens und des Glaubens. Darauf geht es zu und soll es zugehen. Freilich verheißt eine gute Blüte auch viele Frucht und macht unsere Erwartungen groß. Aber die Blüte ist eben noch nicht die Frucht. Und im Leben der Natur und geistlichen Leben ist dann die Frucht (im Unterschied zum Erfolg) nicht zum eigenen Verzehr und Genuss bestimmt, sondern immer für die anderen da und für die nächste Generation.

Foto: Thomas Gertler
Im geistlichen Leben ist die Fruchtbarkeit auch oft nicht unmittelbar zu erfahren und zu erleben. Es kann lange dauern wie zum Beispiel im Leben von Charles de Foucauld (1858-1916). Wie sehr hat er sich Gefährten gewünscht und hat sie nicht gesehen. Erst nach fünfzig Jahren mit der kl. Schwester Magdeleine Hutin und mit dem kl. Bruder René Voillaume begann die Frucht seines Lebens sichtbar zu werden und bringt sie heute weltweit mit den kleinen Brüdern und Schwestern Jesu. Es ist wie eine Quelle. Das Wasser sammelt sich unter der Erde und sucht sich seinen Weg durch den Berg und tritt an einer unerwarteten Stelle sprudelnd hervor.
Freuen Sie sich an der Blütezeit und harren Sie der Frucht!
Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
7. Juli 2021
Heute gibt es keine Bibelstelle sondern eine bekannte Geschichte von Rainer Maria Rilke. Hier habe ich sie gefunden. Eine weitere Quelle dafür habe ich nicht entdecken können. Es gibt die Geschichte aber vielmals im Netz unter dem Titel „Die Rose“.

Foto: Yoko Nekonomania - CC BY 2.0
Rainer Maria Rilke ging in der Zeit seines Pariser Aufenthaltes regelmäßig über einen Platz, an dem eine Bettlerin saß, die um Geld anhielt. Ohne je aufzublicken, ohne ein Zeichen des Bittens oder Dankens zu äußern, saß die Frau immer am gleichen Ort. Rilke gab nie etwas, seine französische Begleiterin warf ihr häufig ein Geldstück hin.
Eines Tages fragte die Französin verwundert, warum er ihr nichts gebe. Rilke antwortete: "Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand." Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen. Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. Nach acht Tagen saß sie plötzlich wieder an der gewohnten Stelle. Sie war stumm wie damals, wiederum nur wieder ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand. "Aber wovon hat sie denn in all den Tagen gelebt?" fragte die Französin. Rilke antwortete: "Von der Rose..."