Es ist gut, einen kleinen Schatz von Gebeten auswendig zu können. Natürlich das „Vaterunser“, natürlich ein Tischgebet wie „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast…“ vor Tisch und nachher „Dir sei, o Gott, für Speis und Trank…“. Natürlich das „Ave Maria“ und den Rosenkranz… Viele evangelische Christen kennen den Psalm 23 vom guten Hirten auswendig.
Heute möchte ich Ihnen ein Morgengebet (man kann es auch abends beten!) vorstellen und Sie einladen, es auswendig zu lernen. Denn es ist meiner Meinung nach wirklich eine Kostbarkeit, die in diesen Schatz gehört. Es ist ein Gebet, das Edith Stein, der Philosophin und Ordensfrau (1891-1942) zugeschrieben wird. Aber nun lesen Sie es erst einmal und lassen es auf sich wirken. Und dann versuchen Sie es auch zu beten.
Ohne Vorbehalt und ohne Sorgen
Leg ich meinen Tag in Deine Hand.
Sei mein Heute, sei mein Morgen,
Sei mein Gestern, das ich überwand.
Frag mich nicht nach meinen Sehnsuchtswegen,
Bin aus Deinem Mosaik ein Stein.
Wirst mich an die rechte Stelle legen,
Deinen Händen bette ich mich ein.
Hier gibt es auch eine freie gesungene Fassung. Edith Stein spielt in dem Gebet mit ihrem Familiennamen „Stein“ und sieht sich als Mosaikstein in dem großen Mosaik, das Gottes Weisheit legt. Sie hatte ja ein sehr bewegtes Leben. Ein jüdisches Mädchen aus Schlesien, das den Glauben verlor – weil es die Wahrheit suchte. Nach ersten Studien in Breslau kam sie 1913 zum berühmten Philosophen Edmund Husserl nach Göttingen. Am Haus ihrer Studentenbude hier gibt es eine Plakette. Ich bin schon oft daran vorbei gekommen. Sie hat sich fast täglich mit ihren Mitstudenten über Husserls Denken ausgetauscht. In einen war sie verliebt: Roman Ingarden (1893-1970). Er mochte sie zwar auch gern, aber nicht mehr. Da ist ein Sehnsuchtsweg gescheitert. Andere scheiterten ebenfalls. So konnte sie sich nicht habilitieren, also den Weg zu einer Professur beschreiten, weil sie Frau und Jüdin war.
Aber gerade ihre Sehnsucht nach Wahrheit führte sie auf den Weg zum Glauben. So sagt sie selbst: "Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht" (E. Stein: Brief Nr. 259. Werke, Bd. IX, S. 102). Die Lektüre der Autobiografie der hl. Theresia von Avila hat sie zur Überzeugung gebracht, dass diese Wahrheit in der katholischen Kirche zu finden ist. Sie wurde am 1. Januar 1922 getauft, trat 1933 in den Kölner Karmel ein und nahm den Namen der hl. Teresa an, die sie so begeistert hat.
Sie konnte nicht in Köln bleiben, sondern musste wegen der Judenverfolgung 1938 in den Karmel von Echt in Holland fliehen. Aber auch hier war der Verfolgungsweg noch nicht zu Ende. Am 2. August 1942 wurde sie verhaftet und am 9. August 1942 in Auschwitz ermordet. Am 11. Oktober 1998 wurde sie heiliggesprochen und ein Jahr später zur Patronin Europas erklärt. Nun hat dieser Mosaikstein seinen Ort gefunden.
Freilich ist das Wort vom Mosaikstein nur ein Bild. Es bringt gut zum Ausdruck, was der Sinn des Lebens ist, nämlich so einen einmaligen und unverwechselbaren Platz im Ganzen zu gewinnen, dem Ganzen und Gott so zu dienen und dadurch Ganze erst zum Ganzen werden zu lassen. Denn dieser Stein würde fehlen. Aber dem Vergleich unseres Lebens mit einem Mosaik fehlt die Dynamik. Darum wäre vielleicht das Bild vom Drama und von der Rolle im göttlichen Weltdrama wirklichkeitsnäher, auch näher am Leben Edith Steins. Und auch unseres Lebens.
Gottes Mosaik ist also lebendig, wie ich lebendig bin. Und mein Leben als lebender Baustein lege ich täglich in Gottes Hand. Er fügt mich ein in das Ganze seines Planes. Ich erkenne dieses Bild heute noch nicht – manchmal ahne ich etwas, aber ich vertraue auf Gottes Fügungen. Er fügt mich ein. Er fügt alles und bringt es zum Heil. „Gott tut nichts als fügen“, sagt ein Spruch.
Das glaube ich und grüße Sie herzlich
Thomas Gertler SJ
21. Oktober 2020
Dieses riesige Mosaik ist in der Hagia Sophia in Istanbul zu finden. Diese heutige Moschee ist ja einmal eine christliche Kirche gewesen und ich finde es gut, dass dieses großartige Christusbild darin erhalten ist. In Christus ist Gottes Heilsplan auch für mein eigenes Leben sichtbar, wie ihn der Hymnus im Epheserbrief besingt. In den Leib Christi werde ich eingefügt.

Foto: Dianelos Georgoudis - CC BY-SA 3.0
Brief an die Epheser 1,3 - 23
Eph 1,3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. 4 Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Grundlegung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor ihm. 5 Er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne [und Töchter] zu werden durch Jesus Christus und zu ihm zu gelangen nach seinem gnädigen Willen, 6 zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn. 7 In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade. 8 Durch sie hat er uns reich beschenkt, in aller Weisheit und Einsicht, 9 er hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im Voraus bestimmt hat in ihm. 10 Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, das All in Christus als dem Haupt zusammenzufassen, was im Himmel und auf Erden ist, in ihm. 11 In ihm sind wir auch als Erben vorherbestimmt nach dem Plan dessen, der alles so bewirkt, wie er es in seinem Willen beschließt; 12 wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit bestimmt, die wir schon früher in Christus gehofft haben. 13 In ihm habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; in ihm habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr zum Glauben kamt. 14 Der Geist ist der erste Anteil unseres Erbes, hin zur Erlösung, durch die ihr Gottes Eigentum werdet, zum Lob seiner Herrlichkeit.
15-16 Darum höre ich nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke; denn ich habe von eurem Glauben an Jesus, den Herrn, und von eurer Liebe zu allen Heiligen gehört. 17 Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt. 18 Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt 19 und wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke. 20 Er ließ sie wirksam werden in Christus, den er von den Toten auferweckt und im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben hat, 21 hoch über jegliche Hoheit und Gewalt, Macht und Herrschaft und über jeden Namen, der nicht nur in dieser Weltzeit, sondern auch in der künftigen genannt wird. 22 Alles hat er ihm zu Füßen gelegt und ihn, der als Haupt alles überragt, über die Kirche gesetzt. 23 Sie ist sein Leib, die Fülle dessen, der das All in allem erfüllt.