Betende Hände

 

Bevor wir uns der Zeichnung von Albrecht Dürer zuwenden, lade ich Sie ein, einmal genauso die Hände zusammenlegen wie auf dem Bild. Einfach genauso tun! Merken Sie etwas? Auch wenn ich vielleicht gar nicht bewusst beten wollte, geschieht körperlich etwas mit mir. Ich verändere nicht nur – wie auf dem Bild – die Haltung meiner Hände. Mein ganzer Körper ändert sich. Ich richte mich auf. Und mit der körperlichen Haltung ändert sich auch die innere Haltung und Ausrichtung. Das ist es und darauf kommt es mir an in diesem Impuls – nicht auf eine Bildbetrachtung, sondern auf die Haltung, innerlich und äußerlich. Auf die Haltung des Betens und der Anbetung. Sie muss sich körperlich ausdrücken und tut das auch immer irgendwie.

Es muss nicht immer so geschehen wie auf dem Bild. Es gibt ganz viele unterschiedliche Weisen. Meist falten wir die Hände. Das entspricht sehr dem Händeringen beim Bitten in der Not. Es gibt die nach oben ausgestreckten Hände. Das kennen wir aus der Liturgie. Es ist eine biblische und sehr alte Haltung des Flehens zu Gott. Hier das Beispiel von Mose (z. B. in Exodus 17,8-16).

Es gibt das Niederwerfen, das sich auf den Boden Legen. Wir kennen es vom Karfreitag und von der Priesterweihe. Und es ist gut, es auch einmal selbst beim persönlichen Gebet zu tun. Es ist die stärkste Form der Verehrung und Anbetung und auch da unterstützt die körperliche Haltung die innere Haltung. Wirklich herunter zur Erde. Das sind nicht alle äußeren Haltungen des Gebets. Es gibt noch mehr, sehr viele mehr.

Kehren wir zu den „Betenden Händen“ von Dürer zurück. Es ist heute sein bekanntestes oder vielleicht richtiger sein am weitesten verbreitetes Kunstwerk. Es ist das aber erst im 19. Jahrhundert geworden, als man es als Vorstudie zu einem großen Gemälde gefunden hat. Das Gemälde selbst ist leider verbrannt. Es gibt nur eine Kopie davon. Nichts von Dürer ist so oft gedruckt, nachgebildet, in Holz geschnitzt und in Stein gemeißelt worden wie diese als Studie gezeichneten „Betenden Hände“. Sogar das Grab von Andy Warhol ist damit geziert (mehr schlecht als recht).

Foto: Allie Caulfield - CC BY 2.0

Ein so oft reproduziertes Werk kippt dann irgendwann in Kitsch hinüber, wie es z. B. auch mit den Sonnenblumen von Vincent van Gogh geschehen ist. Man kann es dann einfach nicht mehr sehen.

Jetzt aber geht aber schon wieder. Denn beide hatten inzwischen eine gewisse Ruhezeit und wenn man das Original jetzt sieht, übt es wieder seine Faszination aus. Worin liegt sie bei Dürers betenden Händen? Es zum einen ist ein sehr einfaches Motiv. Ich kann es gut erfassen und verstehen. Es kann auch gut isoliert für sich stehen. Und es ist zum anderen so gekonnt dargestellt. Die Hände sind wirkliche Hände. Menschenhände. Erwachsene Hände. Edle Hände. Manche Interpreten meinen, es seien Dürers eigene Hände. Sie haben gar nichts Gekünsteltes oder Verkrampftes. Sie liegen locker, nicht gepresst aufeinander. Man sieht, dass diese Hände geübt sind zu beten, so zu beten.

Und es ist so meisterlich gezeichnet: auf dem blau getönten Papier schwarze Tinte und weiße Höhung. Durch diese weiße Höhung kommt so eine Plastizität in das Bild. Jede Ader kann man sehen und ihr nachgehen. Und durch die weiße Höhung kommt Licht in das Bild und es gibt den Händen und dem Gebet eine Richtung diagonal von rechts unten nach links oben. Es geht hinauf zu Gott. Das wollen die Hände und das will auch ich als betender Mensch. Und es ist eher die Haltung der Anbetung und der Verehrung als des Bittens. Ich bete an. Ich lasse alles eigene Tun – lasse meine Hände ruhn. Ich wende mich zum Höchsten: Ehre sei Gott in der Höhe! Ich stimme ein in den Lobgesang der Engel und der Heiligen: „Großer Gott, wir loben dich. Herr wir preisen Deine Stärke. Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke.“ Darum geht es. Um die Verehrung und Anbetung Gottes.

Oder wie es Alfred Delp in der Gefängniszelle und dennoch in großer innerer Freiheit geschrieben hat: „Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung.“ Das hat er mit gefesselten, mit betenden Händen geschrieben. Anbetung ist es, die alle Dinge in die richtige Ordnung setzt und die falschen Mächte entlarvt und entmachtet.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

30. Juni 2021

Ich füge hier zusammen zwei sehr unterschiedliche Traditionen der Anbetung. Im Bild die katholische Form der Anbetung schlechthin, nämlich die Anbetung Jesu Christi in der Eucharistischen Anbetung. Es ist ein Bild von Jan van Kessel aus dem Jahre 1670.

Der Text ist ein bekanntes Lied von Gerhard Tersteegen aus der reformierten mystischen Tradition aus dem Jahre 1729. Es steht heute auch im Gotteslob unter 387. Eine Erläuterung dazu finden sie hier.

 

1. Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten
und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige
und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt,
wer ihn nennt,
schlag die Augen nieder;
kommt, ergebt euch wieder.
5. Luft, die alles füllet, drin wir immer schweben,
aller Dinge Grund und Leben,
Meer ohn Grund und Ende, Wunder aller Wunder:
Ich senk mich in dich hinunter.
Ich in dir,
du in mir,
lass mich ganz verschwinden,
dich nur sehn und finden.
2. Gott ist gegenwärtig, dem die Kerubinen
Tag und Nacht gebücket dienen.
„Heilig, heilig, heilig“ singen ihm zur Ehre
aller Engel hohe Chöre.
Herr, vernimm
unsre Stimm,
da auch wir Geringen
unsre Opfer bringen.
6. Du durchdringest alles; lass dein schönstes Lichte,
Herr, berühren mein Gesichte.
Wie die zarten Blumen willig sich entfalten
und der Sonne stille halten,
lass mich so
still und froh
deine Strahlen fassen
und dich wirken lassen.
3. Wir entsagen willig allen Eitelkeiten,
aller Erdenlust und Freuden;
da liegt unser Wille, Seele, Leib und Leben
dir zum Eigentum ergeben.
Du allein
sollst es sein,
unser Gott und Herre,
dir gebührt die Ehre.
7. Mache mich einfältig, innig, abgeschieden,
sanft und still in deinem Frieden;
mach mich reinen Herzens, dass ich deine Klarheit
schauen mag in Geist und Wahrheit;
lass mein Herz
überwärts
wie ein’ Adler schweben
und in dir nur leben.
4. Majestätisch Wesen, möcht ich recht dich preisen
und im Geist dir Dienst erweisen.
Möcht ich wie die Engel immer vor dir stehen
und dich gegenwärtig sehen.
Lass mich dir
für und für
trachten zu gefallen,
liebster Gott, in allem.
8. Herr, komm in mir wohnen, lass mein’ Geist auf Erden
dir ein Heiligtum noch werden;
komm, du nahes Wesen, dich in mir verkläre,
dass ich dich stets lieb und ehre.
Wo ich geh,
sitz und steh,
lass mich dich erblicken
und vor dir mich bücken.