Aufschauen

Foto: Uroš Novina - CC BY 2.0

„Morgens öffne ich zuerst nach dem Aufstehen mein Fenster und schaue nach dem Himmel. Das habe ich mir jetzt angewöhnt.“ So ungefähr habe ich es kürzlich im Radio gehört. So ähnlich mache ich es auch täglich, aber nicht so sehr, um aufzuschauen, sondern um die frische Morgenluft einzulassen. Aber das Aufschauen ist etwas, das ich jetzt auch bewusst tun will. Jeden Morgen ist der Himmel anders. Jetzt kann ich sogar manchmal noch die Sterne sehen wie oben auf dem Bild, das uns den Orion im Winter zeigt.

Das Aufschauen tut gut. Zurzeit sitzen wir ja meist den ganzen Tag am Computer und schauen darauf. Das Aufschauen - weg vom PC - schafft eine kleine Pause. Setzt einen Abstand zum Tun. Und das ist wichtig. Nicht nur für unsern Körper, dass er aus seiner leichten Fehlstellung und der Augenüberanstrengung herauskommt, sondern auch für unseren Geist, dass er sich aus dem Starren auf das Bild löst und aufschaut. Aufschauen meint ja auch immer sich anderem zuwenden. Die Aufmerksamkeit wechseln, weg vom PC hin zum Menschen, der gerade hereingekommen ist, oder der mir gerade in der Einsamkeit meines Büros in den Sinn kommt.

Ich erinnere mich an eine Geschichte von meinem Großvater in Berlin, die uns unsere Mutter erzählt hat. Der Vater verschwand öfters am Abend aus dem Familienkreis und sagte zu den Kindern: „Ich gehe Sterne gucken.“ Also er ging auf den Boden hoch zu seinem Fernrohr und schaute auf zu den Sternen, so sollten die Kinder denken. Er tat aber etwas anderes. Es war damals in der Nazizeit. Er wollte den Kindern nicht sagen, was er wirklich tat, denn es war verboten. Er hörte nämlich Radio BBC oder wie die Nazis sagten „Feindsender“. Das durfte nicht herauskommen. Man ging dafür ins Gefängnis.

Für den Großvater aber war das ein ganz wichtiges Aufschauen. Heraus aus der Propaganda hin zu einer anderen und stimmigeren Sicht der Dinge. Auch ich habe dann später als DDR-Bürger medienmäßig völlig im Westen gelebt. Wir alle haben nur Westradio gehört oder Westfernsehen gesehen bis auf das so genannte „Tal der Ahnungslosen“ um Dresden herum, wo es technisch sehr lange nicht möglich war, den Westen zu empfangen.

Es war beim Großvater in Nazideutschland und dann bei uns in der DDR ähnlich. Wir wollten der ständigen Lüge und Propaganda etwas entgegensetzen, das stimmte und worauf wir uns verlassen konnten. Und Großvater hat der BBC und wir dem Deutschlandfunk vertraut. Das kann man im Großen und Ganzen immer noch tun mit all den Einschränkungen, deren wir uns heute ja bewusst sind.

Es gibt aber auch noch ein anderes Aufschauen.

Das Aufschauen zu Gott im Gebet das geht weiter als die Nachrichten. Es geht auf die tiefere und die umfassendere Wahrheit Gottes. Die Wahrheit, die immer größer ist als wir und die wir nicht umfassen und begreifen können. Die uns aber einleuchtet und tröstet. Diese göttliche Wahrheit, die stimmt nicht nur im Sinne der Richtigkeit, sondern diese Wahrheit Gottes ist darüber hinaus verlässlich und tragend. Sie ist fester Boden und schenkt Freiheit gegenüber allen täglichen Nöten und Notwendigkeiten gerade auch in den Pandemiezeiten. Ich kann aufschauen und aufatmen. Denn diese Wahrheit ist eben nicht nur Sache und Ding, sondern Du und Person. Ich verlasse mich nicht auf etwas, sondern auf ein göttliches Du, das eine Beziehung zu mir hat und haben will.

Und das wird noch einmal anders und unbegreiflich tiefer, wenn ich zu Jesus Christus aufschaue. Da schaue ich in menschliche Augen, in liebende und verstehende Augen, die mich kennen, durchschauen und trotzdem voller Liebe schauen. Zu ihm wollen wir aufschauen, das tröstet und verändert mein Schauen auf diese Welt und auf meine Situation.

Schauen wir auf zu ihm, dem Licht der Welt!
Thomas Gertler SJ

16. Dezember 2020

Zu wem wir bei diesem Bild aufschauen, ist Jesus Christus, wie ihn Rembrandt für uns gemalt hat. Er ist sehr menschlich, aber sein Blick geht über uns hinaus. Schaut er nicht auch hinauf? Er schaut auf seinen Vater, so denke ich. Der ist seine Burg, sein Berg, sein Fels, seine Hilfe. Wie es der Psalm 121 sagt, den Jesus sicher gebetet hat. Ein Psalm der uns direkt einlädt, die Augen zu erheben und aufzuschauen.

 

Psalm 121

1 Ein Lied für die Wallfahrt.
Ich erhebe meine Augen zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe?
2 Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde erschaffen hat.
3 Er lässt deinen Fuß nicht wanken; dein Hüter schlummert nicht ein.
4 Siehe, er schlummert nicht ein und schläft nicht, der Hüter Israels.
5 Der HERR ist dein Hüter, der HERR gibt dir Schatten zu deiner Rechten.
6 Bei Tag wird dir die Sonne nicht schaden noch der Mond in der Nacht.
7 Der HERR behütet dich vor allem Bösen, er behütet dein Leben.
8 Der HERR behütet dein Gehen und dein Kommen von nun an bis in Ewigkeit.