Aua, Aua

Foto: Frank C. Müller - CC BY-SA 3.0

 

Oh Helmut, du hast ja ein verbundenes Gelenk!

Nicht so schlimm, bin halt bei dem Schneewetter hingefallen und hab’ mir das Gelenk verstaucht. Blöd.

So wie ich bei der Glätte auf meine Rippen gefallen bin.

Na ja, bei mir war das schon eine komische Geschichte. Ich komme ziemlich erschöpft von der Arbeit, hab‘s eilig und treffe ausgerechnet jetzt auf den alten Kumpel Gerhard, der immer so viel zu erzählen hat. Wir wohnen in der gleichen Gegend. Er will auch nach Haus mit dem Bus. Mit dem könnte ich auch fahren, will ich aber nicht, damit Gerhard mich nicht die ganze Zeit zutextet, sondern ich in meinem spannenden Buch weiterlesen und mich einfach erholen kann…
Meine Straßenbahn fährt etwas früher. Ich sage tschüss, spute mich, renne. Und kurz bevor ich die Bahn erreiche, rutsche ich aus und verstauche mir den Arm. Aua, Aua!! Prompt ist die Bahn weg. Oh du Schei… Jetzt humple ich zur Bushaltestelle zurück. Gerhard steht noch da. Und nun fahre ich doch mit Gerhard.

Das hättste auch gleich haben können.

Genau das habe ich auch gedacht. Eine echte Demutsübung. Ich musste fast grinsen, wenn mir der Arm nicht so weh getan hätte. Wenn ich insgesamt nur lockerer gewesen wäre und nicht so gierig auf mein Buch und meine Erholung und voller Widerstände gegen Gerhard. Dann wäre ich gleich mit Gerhard gefahren und hätte jetzt keinen Verband am Arm.

Und da soll man nicht sagen, dass Gott keinen Humor hat. Oder kein guter Pädagoge wäre… Aua, Aua.

Oder ich einfach die Dinge und Menschen nehme, wie sie sind ohne solche Widerstände und Abneigungen. Da ist man ja viel freier.

Ja, der Verband wird dich noch eine Weile erinnern und dann kannst Du dir jedes Mal sagen: Helmut, bleib locker, bleib gelassen, hab nicht so Angst, dass du zu kurz kommst oder nimm mal den Gerhard und auch die anderen einfach so, wie sie sind. Das erinnert mich an das, was bei Ignatius von Loyola, unser Ordensgründer (1491-1556), „ungeordnete Neigung“ oder „ungeordnete Anhänglichkeit“ heißt. Das sind genau solche Neigungen, die uns letztlich unfrei machen. Neigungen, die uns auch daran hindern, Gottes Willen zu erkennen und zu tun. Ignatius war es sehr wichtig, dass wir uns davon nicht beherrschen lassen: Abneigung gegen Gerhard, Gierigkeit, das Buch weiter zu lesen, Sorge, mich nicht endlich erholen zu können.

Und die kann man los werden?

Ignatius hat zuerst gemeint, sie ganz und gar los werden zu können. Er war ja so ein totaler Willensmensch und Macho. Mit Gewalt gegen sich selbst wollte er sie los werden. Daran ist er gescheitert. Aber nach dem Scheitern war er gescheiter und hat dann richtiger gesagt: wir müssen uns davon nicht letztlich bestimmen lassen. Wir werden diese Neigungen nie ganz los. Sie haben ja auch ihre Wahrheit: Gerhard ist nervig, Erholung muss sein, begeistert ein Buch lesen ist auch gut. Wir sollen sie wahrnehmen, aber auch ihren Drang, uns zu beherrschen oder zu überschwemmen. Wie zum Beispiel Ängste oder wie zum Beispiel das Smartphone. Immer muss ich nachsehen, ob es was Neues gibt. Nein, ich muss eben nicht. Ich kann mehr Freiheit lernen.

Und wie?

Ja, eine gute Übung, mit Gerhard im Bus nach Hause fahren – mit einem Ja dazu, nicht mit Widerwillen. Dazu hat dich ja der Humor Gottes eingeladen. Eine Zumutung - Aua, Aua… Mal was gegen diese Neigungen zu tun, macht freier. In der Fastenzeit nennt man das gute Vorsätze.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler SJ

28. Februar 2018

 

Bei Jesus gibt es etwas Ähnliches in der Bergpredigt Jesu. Auch übertrieben und heftig, aber eine sehr starke Übung, um Freiheit zu lernen. Sie kennen diese Einladungen schon, haben sie aber vielleicht noch nie als Einladung zur Freiheit und Befreiung gelesen:

Die andere Wange…
Foto: NortenhaPVZ - CC BY-SA 3.0

 

Mt 5, 38 - 48

5, 38 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn.
39 Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. 40 Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. 41 Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. 42 Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab. 43 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, 45 damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. 46 Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? 47 Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? 48 Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.