Anastasis – Auferstehung der Toten

Zu Ostern wollen wir in diesem Jahr eine Auferstehungsikone der orthodoxen Kirche betrachten. Es ist eine Ikone aus einer der ältesten Städte Russland, und zwar aus Pskov. Ich denke, viele von Ihnen haben eine solche oder ähnliche Ikone schon einmal gesehen. Wir wollen wie bei jeder Bildbetrachtung wieder von außen nach innen gehen. Erst sehen, wahrnehmen, anschauen und von da dann zur Deutung.

Was sehen wir? Zentral die Gestalt Christi ganz in Rot mit einem Heiligenschein und in einer doppelten Mandorla, einem mandelförmigen (daher Mandorla) Umkreis in Gold und in Schwarz. Die Gestalt Christi ist in heftiger Bewegung. Das rechte Bein stößt ganz nach unten. Das linke Bein scheint schon wieder im Aufstieg. Die Dynamik wird durch ein wehendes Gewandteil unterstrichen, das fast wie ein Flügel aussieht.

Die Hände Christi sind nach rechts und links ausgestreckt und fassen die Hände eines Mannes und einer Frau. Es sind Adam und Eva. Sie steigen aus ihren Gräbern. Oder besser: sie werden aus ihren Gräbern gezogen. Adam ganz dunkel. Eva ganz in Rot mit bedecktem Haupt. Hinter Adam stehen König David und König Salomo. Wir sehen ihre Königskronen. Dann Mose und andere Propheten und Heilige des Alten oder Ersten Bundes. Hinter Eva ein junger Mann. Nach der Tradition wohl Abel. Das erste Mordopfer der Menschheitsgeschichte. Dahinter dann Johannes der Täufer und andere Gestalten.

Unter dem dunklen Teil der Mandorla sieht man zwei Bretter oder auch Türblätter. Es sind die zerbrochenen Pforten zur Unterwelt oder zur Welt des Todes. Und wenn man genau hinsieht, erkennt man zerbrochene Schlösser und frei umherfliegende Schlüssel. Alles weist auf die Befreiung und den Sieg über Tod und Böses.

Ganz oben sind dann Apostel, Engel, Maria und andere Gestalten, die sogar beschriftet sind. Leider kann ich sie nicht genau lesen. Sie stehen außerhalb des überzeitlichen Geschehens unten.

Nun etwas zur theologischen Deutung und Bedeutung. In der orthodoxen Kirche wird diese Ikone Anastasis – Auferstehung genannt. Es geht also um die Dynamik nach oben, heraus aus der Welt des Todes hinein in das neue Leben. Und Jesus nimmt dazu alle vor ihm Gestorbenen, angefangen bei Adam und Eva mit. Das ist das Entscheidende an Jesu Auferstehung, dass sie nicht nur ihm gilt, sondern dass alle Menschen, alle Zeiten, ja der ganze Kosmos, die ganze Schöpfung davon betroffen sind. Dass mit Jesu Auferstehung das neue Leben, das Reich Gottes für alle Menschen und die ganze Schöpfung begonnen hat, und zwar für ihre Vergangenheit und für ihre Zukunft.

Für die westliche Theologie wurde im letzten Jahrhundert der erste Teil der Dynamik wichtig, nämlich der Todesabstieg Jesu. Das sagen ja die Glaubensbekenntnisse der Kirchen, dass Jesus gestorben ist und begraben wurde. Dass er wirklich in das Totenreich gegangen ist. Besonders Hans Urs von Balthasar hat diesen Glaubensartikel tief, ja radikal bedacht. Für ihn ist Jesus wirklich in die Hölle, den Ort der tiefsten Gottesferne gegangen. Er hat die Hölle durchlitten, um Gottes Liebe und Rettung bis dahin zu bringen, wohin sonst nichts zu dringen vermag. Dahin wo völlige Finsternis und Verschlossenheit ist. Wo das Nein zu allem wohnt. Auch dorthin gehen die Liebe und der Erlösungswille Jesu.

Das will uns Hoffnung geben, wo gerade jetzt das Böse, die Gewalt der Hass so überstark und mächtig scheinen. Die Liebe Gottes fürchtet sich davor nicht. Sie geht auch dort hinein. An die Wurzel von alle dem. Und das sind die Angst, die Verletztheit, der Hass, weil man selbst so viel Hass erfahren hat. Dahin wird durch Jesus in seinem Abstieg zur Hölle Annahme, Heilung, Liebe gebracht. O möge sie doch ankommen und mögen doch alle aus dieser Welt des Todes und des Bösen herausgezogen werden mit großer Macht und Stärke!

Das will uns diese Ikone sagen und vor Augen stellen. Das Rot der Liebe ist stärker als das Rot des Blutvergießens.

Gesegnete Ostern wünscht Ihnen
Thomas Gertler SJ

13. April 2022

Heute stelle ich Ihnen das apostolische Glaubensbekenntnis, in dem wir genau diesen Abstieg ins Totenreich und den Aufstieg in die Auferstehung und Verherrlichung bekennen, als Text hinzu und dazu Petrus und Paulus als die beiden Apostel, die diesen Glauben an uns weitergegeben haben. 

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, / und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, / empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, / gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, / hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, / aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; / von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. / Ich glaube an den Heiligen Geist, / die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, / Vergebung der Sünden, / Auferstehung der Toten / und das ewige Leben. / Amen.