Abrahams Schoß statt Schwarzes Loch

Foto: Immanuel Giel - CC BY 3.0

Gerade die Meditation des Schwarzen Lochs mit seiner Schreckensvision, dass womöglich einmal alles darin verschwinden wird, hat mich darauf gebracht, dass eine von den Visionen unseres Glaubens über unser Ende das Bild von Abrahams Schoß ist.

Abrahams Schoß kommt nur einmal in der Bibel vor, und zwar bei Lukas in der Geschichte vom armen Lazarus und dem reichen Prasser (Lk 16, siehe unten). Aber in zeitgenössischen Schriften außerhalb der Bibel kommt er öfter vor. Vermutlich bedeutet der Ort, an dem Abraham die Gerechten im Schoß trägt, noch nicht das endgültige Paradies, sondern den Ort, an dem die Verstorbenen warten auf die Wiederkunft Christi. Die Gerechten am Ort des Trostes, die Bösen am Ort der Qual. In einem ziemlich dunklen Loch.

Später verbreitet sich diese Vorstellung von Abrahams Schoß auch in der Kunst, in Malerei und Bildhauerei vor allem des Mittelalters. Und da geht es nicht nur um Abrahams Schoß, auch um Jesus auf dem Schoß Marias, oder Maria und Jesus gemeinsam auf dem Schoß der hl. Anna. Im Mittelalter werden die Großeltern und die Vorfahren auch für die Frömmigkeit sehr wichtig.

Das Wort für Schoß ist griechisch „kolpos“ und das meint sowohl die Brust, den Busen (engl. Bosom) wie auch den Schoß. Johannes ruht an der Brust Christi (Joh 13), oder Jesus an der Brust des Vaters (Joh 1), Bei Lk 16,22 dann Lazarus in Abrahams Schoß.

Ende und Anfang berühren sich in diesem Bild von Abrahams Schoß. Am Ende kommt das Paradies des Anfangs wieder. Auch im Leben eines jeden Menschen kommt es so: Am Ende kommt der Anfang wieder. Bilder und Erfahrungen aus der frühen Kindheit stehen wieder plastisch vor Augen, werden noch einmal durchmeditiert, durchbetrachtet, durchgeschmeckt.

Und ich kann einmal selbst meinen inneren Bildern nachgehen: Ich auf dem Schoß meines Großvaters. Ich auf dem Schoß der Großmutter. Ich an der Brust meiner Mutter. Auf den Schultern und in den Armen des Vaters. Welche Erinnerungen kommen? Wir alle haben schon den Himmel erlebt. Im Mutterschoß, an der Mutterbrust. Wir waren schon einmal restlos glücklich und gestillt. Und danach suchen wir dann immer wieder. Diese Erfahrung wollen wir wieder machen.

Schon Thomas von Aquin (1225-1274) sagte, wer traurig ist, soll ein warmes Bad nehmen. Das tröstet. Warum tröstet es so? Weil es so ungefähr den Zustand des Kindes im Mutterschoß wieder herstellt. In der Wanne schwimme ich wie im warmem Fruchtwasser der Mutter damals vor meiner Geburt. Das warme Bad kann und soll mich in den gleichen wunderbaren einstigen Zustand versetzen. Das tröstet, birgt, trägt. Meist ganz unbewusst.

Freilich haben wir als kleine Kinder auch schon Hölle erlebt: Verlassenheit, Einsamkeit, Not, Verzweiflung, letzte Hilflosigkeit. Alle Erfahrungen des kleinen Kindes haben ja etwas Absolutes, weil das kleine Kind die Zeit noch nicht kennt, die alles relativiert und vergehen lässt: das Glück und auch das Leid. Denn das kleine Kind lebt total im Augenblick. Wenn es glücklich ist, ist es total glücklich. Wenn es verlassen ist, ist es völlig verlassen. Ich kann beiden Erfahrungen einmal nachgehen. Beides lege ich in Gottes Hand.

Ich schaue auf die Trostbilder, die mir die beiden Bilder von den Seligen des Fürstenportals am Bamberger Dom (siehe unten) und von den Glücklichen in Abrahams Schoß vermitteln. Darauf gehe ich zu. Auf dieses absolute Glück und diese Freude. Das ist die Verheißung.

Wir erfahren auch in dieser Zeit immer schon ein wenig davon. Nicht nur als kleine Kinder, auch später immer wieder. Trost im Gebet, in der Begegnung, in der Liebe, in der Natur, die mich aufnimmt. In großen Gottesdiensten und in kleinen Meditationsräumen. In der Kunst, in der Literatur, in den großen Texten der Bibel.

Und wie gut, dass ich in meiner Nasszelle nicht nur eine Dusche, sondern auch eine Wanne habe. Oh Wanne, oh Wonne.

Es grüßt Sie herzlich
Thomas Gertler

15. September 2021

War oben Abraham mit den Seligen im Schoß abgebildet -  nur zwei, die anderen beiden sind leider den Bilderstürmern zum Opfer gefallen - So gibt es am Fürstenportal des gleichen Bamberger Doms noch drei Selige, die genauso froh-verschmitzt schauen. Sie zaubern mir wirklich ein Lächeln aufs Gesicht. Und unten nun die Geschichte aus dem Lukasevangelium von Lazarus und dem reichen Prasser, der lebte als solches Schwarzes Loch, dass alles Licht und alles Gute in sich hineinfrisst und davon nichts wieder hergibt…

Foto: Tilman2007 - CC BY-SA 3.0

Lukas 16,19 - 31

16,19 Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte. 20 Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war. 21 Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. 22 Es geschah aber: Der Arme starb und wurde von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. 23 In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von Weitem Abraham und Lazarus in seinem Schoß. 24 Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir und schick Lazarus; er soll die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer. 25 Abraham erwiderte: Mein Kind, erinnere dich daran, dass du schon zu Lebzeiten deine Wohltaten erhalten hast, Lazarus dagegen nur Schlechtes. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest große Qual. 26 Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte. 27 Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! 28 Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen. 29 Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören. 30 Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, aber wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren. 31 Darauf sagte Abraham zu ihm: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.